Die EU-BürgerInnen fehlen

Blick nach Europa
Verfasst durch Andreas Rieger

Zur Lage in Grossbritannien

Die Italienerin Martha L. wollte ihren Onkel in Grossbritannien besuchen. Am Zoll wurde sie abgefangen und in ein Ausschaffungszentrum gesteckt. Sie hatte gesagt, dass sie auch mal die Kinder des Onkels hüten wolle, das ist im Brexit-Land eine nicht erlaubte Au-pair-Tätigkeit. Einen ähnlich bösen Empfang erlebten Tausende EU-Bürgerinnen und -Bürger, die unkompliziert nach Grossbritannien einreisen wollten wie  zu Zeiten der Personenfreizügigkeit. Sie wurden an der Grenze zurückgeschickt. Viele, nachdem sie tagelang in Ausschaffungszentren hatten warten müssen.

Nichts wie weg!

Die Liquidierung der Personenfreizügigkeit war ein zentrales Element des britischen Austritts aus der EU. «Die Kontrolle wiedererlangen!» das forderte der erfolgreichste Slogan vor der Volksabstimmung von 2016. Danach begannen für Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in Grossbritannien lebten, Jahre der Unsicherheit. Zuerst war lange unklar, unter welchen Bedingungen sie bleiben können. Nach längerem Bangen haben fünfeinhalb Millionen von ihnen eine Bewilligung erhalten, zum Teil allerdings nur provisorisch.  Hunderttausende packten angesichts der Unsicherheit und der fremdenfeindlichen Stimmung ihre Koffer und verliessen das Land.

Wer nun neu in Grossbritannien arbeiten und leben will, muss vor einem elitären Punktesystem bestehen. Bauarbeiter, Chauffeure, Pflegende, Kinderbetreuerinnen schaffen das meist nicht. Kein Wunder, ist die jährliche Neuzuwanderung aus Ländern der EU seit dem Brexit um zwei Drittel geschrumpft. Grossbritannien fehlen jetzt die Arbeitskräfte in vielen systemrelevanten Bereichen. Ernten bleiben liegen, Alten und Kranken fehlt die Pflege, Waren werden nicht geliefert, und in den Läden bleiben die Regale leer.

Wer's glaubt!

Premier Boris Johnson beschwichtigt, das seien nur Übergangsphänomene. Die Wirtschaft werde bald schon aufblühen. Und bald werde auch Schluss sein mit Dumpinglöhnen. Dann werden auch die Britinnen und Briten wieder bauen, pflegen und chauffieren. Wer’s glaubt, wird selig! Dabei hätte der Inselstaat das Problem mit der Lohndrückerei doch wie die Schweiz lösen können: mit Mindestlöhnen und anderen flankierenden Massnahmen. Ohne diese gibt’s in Britannien mehr Schwarzarbeit und Heerscharen von Saisonniers aus der Ukraine und anderen armen Ländern Europas.

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