Sonntagmorgen, 7. April. Ich fliege von Bukarest nach Charleroi, Belgien. Im gleichen Flieger: Nicolas Schmit, EU-Beschäftigungskommissar und sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die kommenden EU-Wahlen. Schmit ist auf dem Rückweg von einer Wahlkampfveranstaltung in Rumänien. Ich bin auf dem Weg zu einer Demonstration der europäischen Gewerkschaften in Brüssel gegen die drohenden Kürzungen im Gesundheitswesen. Um uns herum sind viele müde rumänische Arbeiter wie Dariu neben mir. Er ist mit einem Minibus durch die Nacht zum Bukarester Flughafen gefahren, nachdem er seine Eltern in einem Dorf an der moldawischen Grenze besucht hat.
Falscher Glaube
Schmit willigt ein, ein paar Fragen für work zu beantworten. Ich zücke mein Handy und fange an: «Was sind Ihre Prioritäten?» Schmit: «Der Aufbau eines demokratischen, sozialen und starken Europa. Für mich ist es sehr wichtig, unsere Demokratie im Inneren zu stärken, denn diese wird von aussen angegriffen durch den Krieg in der Ukraine. Aber auch von autoritären Phantasien innerhalb der EU. Zweitens fordere ich eine allgemeine Sozialklausel. Eine Energiewende geht nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Wir haben bereits begonnen, die soziale Dimension der EU mit der Mindestlohnrichtlinie, der Plattformrichtlinie und anderen Initiativen zu stärken. Aber wir müssen sicherstellen, dass es jetzt keinen sozialen Stillstand gibt. Drittens muss die EU auch mehr Autonomie zeigen. Europa muss mehr in seine Industrie investieren, und dies muss immer mit guten Arbeitsplätzen und guten Löhnen verbunden sein.»
Ich antworte: «Das klingt alles gut. Aber ich frage mich, ob Kommission und Rat der EU nicht mitverantwortlich sind für die aktuellen Demokratieprobleme in Europa. Denken wir nur an die unsozialen Interventionen der EU nach der Finanzkrise von 2008 in Irland oder Griechenland.»
Schmit: «Europa ist in eine neoliberale Falle getappt. Europas Politik wurde sehr stark von der neoliberalen Ideologie inspiriert, in dem Glauben, dass die Märkte das Wichtigste sind. Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren eine Art Wendepunkt erreicht haben. Aber es ist nicht sicher, was als nächstes kommt. Es besteht immer die Möglichkeit eines Rückschritts. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass wir die soziale Dimension weiter ausbauen, denn die Dinge ändern sich sehr schnell.»
Gleiche Fehler
Ein paar Stunden später stehe ich vor dem Europäischen Parlament. Gesundheitsgewerkschafter aus ganz Europa protestieren gegen die Kommerzialisierung von Gesundheitsdienstleistungen. Am nächsten Tag eröffnet der linke Europaabgeordnete Marc Botenga eine Konferenz des Europäischen Parlaments zum selben Thema mit Verweis auf die Titelseite der belgischen Zeitung «Le Soir»: «Der Entwurf der neuen EU-Fiskalregeln bedeutet, dass 90 Prozent von Europa nicht in der Lage sein werden, die sozialen und klimatischen Ziele zu erreichen.» Damit es in der EU vorwärts- und nicht rückwärtsgeht, müssen die progressiven, linken und grünen Kräfte gestärkt werden. Deshalb sind die bevorstehenden EU-Wahlen die mit Abstand wichtigsten Wahlen in Europa in diesem Jahr.