Letztlich konnten sich die Wirtschaftslobbyisten doch nicht durchsetzen. Am 15. März einigte sich eine deutliche Mehrheit der Regierungen im EU-Ministerrat auf die EU-Lieferkettenrichtlinie. Diese verpflichtet multinationale Konzerne, dafür zu sorgen, dass ihre Tochterfirmen, Zulieferer und Auslieferer weltweit die Menschenrechte respektieren.
Abgeschwächt
Dabei geht es nicht nur um Zwangs- und Kinderarbeit, sondern auch um kollektive Gewerkschaftsrechte, das Recht auf existenzsichernde Löhne und ökologische Sorgfaltspflichten. Die Endfassung des Richtlinientextes ist jedoch eine stark abgeschwächte Version. So gelten die Sorgfaltspflichten nur noch für EU-Konzerne, die mehr als tausend Beschäftigte haben und weltweit einen Umsatz von 450 Millionen Euro erzielen. Nicht-EU-Firmen (also auch Schweizer Konzerne) müssen der EU-Richtlinie nachkommen, wenn sie mehr als 450 Millionen Euro pro Jahr auf dem EU-Markt erwirtschaften, ungeachtet ihrer Beschäftigtenzahl.
Abfallmafia
Um die Blockade der rechten Regierungen zu überwinden, hat der Rat auch die Liste der Tätigkeiten, die der Sorgfaltspflicht unterliegen, weiter eingeschränkt. Die italienische Abfallmafia sorgte zum Beispiel dafür, dass die Entsorgung und das Recycling von Produkten in letzter Minute komplett ausgeschlossen wurde. Der französischen Regierung gelang es dagegen schon früher, Bankgeschäfte aus dem Geltungsbereich der Richtlinie zu streichen. Ganz im Interesse des Pariser Finanzplatzes.
Dennoch ist auch die verwässerte Richtlinie ein Erfolg. Bei Verstössen gegen ihre neuen EU-Sorgfaltspflichten müssen multinationale Konzerne zudem mit Milliardenstrafen von bis zu 5 Prozent ihres weltweiten Konzernumsatzes rechnen. Auch Betroffene aus Nicht-EU-Staaten können gemeinsam mit EU-Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen Konzerne vor EU-Gerichten verklagen, wenn diese ihre weltweiten sozialen Sorgfaltspflichten nicht einhalten. Von diesem Recht könnten nicht nur Beschäftigte aus dem globalen Süden profitieren, sondern auch Büezerinnen und Büezer in der Schweiz oder in den USA, wenn multinationale Arbeitgeber ihnen Gewerkschaftsrechte oder existenzsichernde Löhne vorenthalten.
Jetzt muss nur noch das EU-Parlament die Richtlinie ratifizieren. Seine Zustimmung gilt als sicher. Dennoch ist nicht klar, ob die Schlussabstimmung noch vor den EU-Wahlen stattfinden kann. Das hängt davon ab, ob der 113-seitige englische Richtlinienentwurf bis Ende April in alle EU-Sprachen übersetzt werden kann.