An der "Ölkrise" der 1970er-Jahre war weniger das Öl als vielmehr die fehlende Arbeitslosenversicherung und die prekäre Migrationspolitik schuld

Blog Daniel Lampart

Wenn die Ölpreise stark steigen, wird immer wieder auf «Ölkrise» der 1970er-Jahre verwiesen, in der die Weltwirtschaft und mit ihr die Schweiz aufgrund der höheren Energiepreise in eine schwere Rezession gefallen sein sollen. Fakt ist aber: Die Rolle der Ölpreise wird überschätzt. Dass das Bruttoinlandprodukt in der Schweiz besonders stark einbrach, ist vor allem auf die fehlende Arbeitslosenversicherung und die Rückwanderung von ausländischen Jahresaufenthaltern und Saisonniers zurückzuführen. Ein weiterer Grund war das Auseinanderbrechen des Bretton-Woods-Währungssystems, was dazu führte, dass sich der Dollar und das Pfund stark abwerteten. Der Franken wurde hingegen wesentlich teurer.

Obwohl der Ölpreis in den 1970er-Jahren weltweit stieg, entwickelten sich die einzelnen Volkswirtschaften sehr unterschiedlich. Bei einer reinen «Ölkrise» wären die Unterschiede geringer. Das Schweizer Bruttoinlandprodukt brach ab 1974 richtiggehend ein und ging um mehr als 5 Prozent zurück. Die USA war hingegen vergleichsweise wenig betroffen und fasste schnell wieder Tritt. Auch die heutige Eurozone hielt sich vergleichsweise gut.

Reales BIP (1974=100)

Der starke Einbruch kommt vor allem von der Binnenwirtschaft her. Der private Konsum stagnierte. Und der Bau brach richtiggehend ein. Bei den Exporten machte sich 1975 zwar die weltweite Rezession bemerkbar. Doch dann wurden die Exporte von der globalen Erholung mitgezogen – wobei sie durch die starke Aufwertung des Frankens hinter der Wirtschaftsentwicklung im Ausland zurückblieben.

Komponenten des realen BIP (1974=100)

Die Binnenkonjunktur litt vor allem unter dem Schweizer Migrationsregime. Die Vorstellung war, dass ausländische Arbeitskräfte einen «Konjunkturpuffer» bilden würden. Indem sie in der Rezession nicht mehr in die Schweiz arbeiten kommen konnten, würde Arbeitslosigkeit «exportiert». Effektiv sank die Zahl der Jahresaufenthalter von fast 300'000 auf rund 125'000 Personen. Bei den Saisonniers war ein Rückgang von fast 200'000 auf 60'000 Personen festzustellen. Weil aber ausländische Arbeitskräfte auch konsumierten und in der Schweiz wohnten, schlug ihr Ausbleiben voll auf die Binnenwirtschaft durch. Der "Konjunkturpuffer" verstärkte die Krise sogar noch. Der Konsum und der Bau gingen zurück. Dazu kam, dass die Schweiz in dieser Zeit keine obligatorische Arbeitslosenversicherung kannte. Diese wäre ein wirksamer "Konjunkturpuffer" gewesen, wie die wichtige Rolle der Arbeitslosenversicherung und der Kurzarbeit in der Corona-Krise zeigte. Vor allem Frauen, die ihre Stelle verloren, hatten keinen Einkommensersatz. Sie hatten dementsprechend auch keinen Anreiz, sich als arbeitslos zu melden. Die offiziellen Arbeitslosenstatistiken unterschätzten deshalb die Realität massiv.

Erwerbstätige (1974=100)

Der Ökonom Peter Stalder hat mit einem Modell geschätzt, wie sich die Arbeitslosigkeit in den 1970er-Jahre ausgeschaut hätte, wenn die Statistik die Arbeitslosen erfasst hätte. Anstelle der offiziell registrierten quasi null Prozent Arbeitslosen (uroff in der Grafik) wären es über 5 Prozent gewesen (ur).

Arbeitslosigkeit in den 1970er-Jahren: offizielle Daten und Modellsimulation nach Peter Stalder

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