Die Energiekrise, die Lieferengpässe, die Coronakrise und die Finanzkrise haben ein gemeinsames Muster: Liberalisierungen und Gewinnmaximierung führten zu einem Abbau von Reserven, was die Wirtschaft verletzlicher macht

Blog Daniel Lampart

Finanzkrise, Corona-Krise, Lieferengpässe und nun noch Energiekrise. Die Wirtschaft wurde in den letzten Jahren mehrmals von grösseren Krisen getroffen. Dass es bis jetzt nicht zu sehr schlimmen Rezessionen gekommen ist, ist im Wesentlichen den umfangreichen staatlichen Stabilisierungsprogrammen zu verdanken. Diese Geschichte zeigt, dass der Staat in diesen Krisen die Pufferrolle übernehmen musste, weil die Privatwirtschaft in den letzten 25 Jahren Reserven abbaute, um mehr Gewinn zu machen. Es wurden die Strom-Produktionskapazitäten, die Lagerkapazitäten in den Firmen, die Spitalkapazitäten und – bei den Banken vor der Finanzkrise – das Eigenkapital abgebaut. Dieses Verhalten hat verschiedene Namen. Am bekanntesten ist wohl der Begriff des «Shareholder-Value» aus der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre. Dabei geht es im Wesentlichen darum, möglichst viel kurzfristige Gewinne für die Aktionäre zu schaffen. In den Firmen selber durch den Abbau von Lager, Eigenkapital und anderen Reserven. Aber auch durch Marktöffnungen im Service Public. Allen voran durch die Öffnung des Strommarktes in der EU. In der Schweiz haben die Gewerkschaften im September von 20 Jahren das Referendum gegen die vollständige Marktöffnung gewonnen. Der Markt für Grossverbraucher wurde aber geöffnet.

Strommarkt-Öffnungen sind mit grossen Risiken verbunden. In der EU wird der aktuelle Strompreis durch denjenigen Stromanbieter bestimmt, der die Verbrauchspitze mit Strom bedienen kann. Dieser «Grenzpreis» stammt in der Regel von Gaskraftwerken, die momentan teurer produzieren. Die Anbieter haben ein Interesse, dass das Strom-Angebot möglichst knapp ist. Das gibt höhere Preise und mehr Rendite. Sie nehmen dann Produktionskapazität vom Netz («capacity withholding») Zudem bergen geöffnete Strommärkte auch das Risiko von zu geringen Investitionen in Produktionskapazität («underinvestment»), was Angebotsknappheiten verschärft. Eine gute Einführung ist dieser Übersichtsartikel.    

Bei den Liefer- und Versorgungsengpässen waren die Invasion in der Ukraine und die Lockdowns in China die unmittelbaren Auslöser. Doch dass es die Wirtschaft so stark spürt, ist darauf zurückzuführen, dass die Firmen viel weniger Lager halten als bis zur Mitte der 1990er-Jahre (s. den Blog-Beitrag von Mitte April). Auch hier liegt ein «Underinvestment» vor. Bei der Corona-Krise verstärkten die fehlenden Spitalkapazitäten das Problem. Es drohten Todesfälle, weil die Spitäler insbesondere in den Intensivstationen vor der Krise den Personalbestand minimierten. Die Finanzkrise wurde vor allem deshalb gefährlich, als die Banken weltweit die Verluste nicht mehr tragen konnten, weil sie vor der Krise Aktien zurückgekauft und Reserven abgebaut hatten. Die Krisen zeigen, dass das Konzept des Shareholder-Value nicht überlebensfähig ist. Ausser der Staat stabilisiert die Wirtschaft und die Firmen, wenn kriselt. Es klingt zwar abgedroschen, aber die Formel ist leider korrekt: «Gewinne privat, Verluste dem Staat».

Als weiteres Problem hat sich auch das geldpolitische Konzept der «Preisstabilität» herausgestellt. Die Zentralbanken hatten in der Folge zu wenig Reserven, um Krisen mit Zinssenkungen zu bekämpfen. Sie haben in den letzten 30 Jahren versucht, die Teuerung in engen Bändern zwischen 0 und 2 Prozent zu halten. Weil die Teuerung tief war, waren auch die Zinsen tief. In den wirtschaftlichen «Schönwetterphasen» schien diese Logik zu funktionieren. Doch bereits in der Finanzkrise musste die Nationalbank die Zinsen quasi auf null senken. Ab 2014 hat die SNB dann erstmals Negativzinsen eingeführt – und dennoch Milliardenbeträge zur Bekämpfung der Frankenüberbewertung einsetzen müssen. Die Geldpolitik sollte nach der Krise eine höhere Teuerung zulassen. Die EZB und das US-FED hat das Teuerungsziel bereits etwas erhöht. Die SNB sollte sich auch bewegen.

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