Diskussion über das Rahmenabkommen wird immer surrealer: EU-Kommission kritisiert Lohnschutz-Massnahmen der Schweiz, die es gar nicht gibt

Blog Daniel Lampart

Die Diskussion über das Rahmenabkommen wird immer surrealer. Der EU-Arbeitskommissar kritisiert heute die Flankierenden Massnahmen im Tagesanzeiger: «Wie kann ein Handwerker spontan für eine Reparatur kommen, wenn er sich wie in der Schweiz acht Tage vorher anmelden muss?». Recht hat er, könnte man meinen. Nur: Das Problem gibt es gar nicht. Denn für Reparaturen, Notfälle und andere kurzfristige Einsätze gilt die Voranmeldefrist nicht. Der Handwerker kann sofort kommen und mit der Reparatur beginnen. Das ist so in der Entsendeverordnung geregelt. Man fragt sich leider nicht das erste Mal: Wie kann man mit jemandem reden oder verhandeln, der das Dossier nicht kennt und Probleme heraufbeschwört, die es gar nicht gibt.

Der EU-Kommissar wirft der Schweiz Rosinenpickerei vor. Sie hätte viele Vorteile im Binnenmarkt und würde die Pflichten vernachlässigen. Effektiv sind die Bilateralen Verträge aus verschiedenen Gründen positiv – für die Schweiz und für die EU. Es ist aber sicher nicht so, dass die Schweiz hier stärker profitieren würde. Teilweise gilt sogar das Gegenteil. Dazu ein paar Fakten:

Die Schweiz hat den Markt für ausländische Dienstleister (Entsendefirmen) im Rahmen der Personenfreizügigkeit geöffnet. Um Dumping zu verhindern, hat sie die Flankierenden Massnahmen eingeführt. Dieses Arrangement hat sich insbesondere für die EU als sehr attraktiv herausgestellt. Denn es kommen viel mehr EU-Dienstleister in die Schweiz als Schweizer Firmen in die EU gehen. Gemessen an der Wohnbevölkerung gibt es kein EU-Land mit so vielen ausländischen Dienstleistungserbringern. Das zeigt auch klar, dass die Flankierenden kein Zugangshindernis sind.

Entsandte Arbeitnehmende (Saldo, in % der Wohnbevölkerung)

Interessant ist auch der Aussenhandel. Die Schweiz importiert seit Jahren mehr aus der EU als sie dorthin exportiert. Daran hat sich mit der Einführung der Bilateralen nichts geändert.

Handelsbilanz Schweiz/EU (Exporte minus Importe)

Dasselbe gilt auch für den Import und Export von Dienstleistungen. Die Schweiz präsentiert sich hier als guter Kunde der EU. Das Defizit im Dienstleistungshandel hat sich in den letzten Jahren sogar noch vergrössert.

Dienstleistungsbilanz Schweiz/EU

Man kann sich Rosinenpicker oder andere Dinge an den Kopf werfen. Ob das die Verhandlungen weiterbringt, ist fraglich. Die Schweiz hat ihre Wirtschaft für die EU-Firmen geöffnet. Sie hat aber auch die höchsten Löhne in Europa. Das erfordert einen besonderen Schutz. Bereits bisher zog die EU Vorteile aus diesem Arrangement. Der EU-Kommissar behauptet dennoch, dass die Schweiz «weit über die EU-Vorgaben beim Lohnschutz hinausgeht». Müsste die Schweiz den Lohnschutz verschlechtern, so wäre die Lage aus dem Gleichgewicht. Das in verschiedener Hinsicht. Profiteure wären die Arbeitgeber aus der EU. Leidtragende wären hingegen ihre Angestellten, die auch geschützte Löhne brauchen, und die Schweizer Arbeitnehmenden.

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