Einwanderung in die Schweiz: Die Bedeutung der Personenfreizügigkeit wird überschätzt.

Blog Daniel Lampart

Die höhere Einwanderung der letzten knapp 20 Jahre wird von den meisten auf die Personenfreizügigkeit zurückgeführt. Tatsächlich dürfte die Rolle der Personenfreizügigkeit stark überschätzt werden. Die Verbreitung des Internets und die Internationalisierung von Wirtschaft und Verwaltung dürften mindestens ebenso wichtig sein.

Bis Anfang der 2000er-Jahre wurden die Stellen vor allem in den Zeitungen ausgeschrieben. Danach wanderte die Personalrekrutierung grösstenteils ins Internet ab. Dadurch waren die offenen Stellen in der Schweiz erstmals für Arbeitssuchende auf der ganzen Welt sichtbar. Denn die Stellenanzeiger in den Zeitungen erschienen nur in den nationalen Ausgaben. In den internationalen Fernausgaben der Schweizer Presse waren sie nicht enthalten. Firmen, die ihre Stellen im Ausland ausschreiben wollten, mussten ihre Inserate in den deutschen oder französischen Zeitungen publizieren.

Der Stellenmarkt-Monitor der Uni ZH zeigt die Entwicklung des Internets bei der Personalsuche deutlich. Eine Präsentation von Tamedia zeigt, dass der Umsatz bei den Stelleninseraten zwischen 2000 und 2011 um 75 Prozent eingebrochen ist.

Parallel dazu internationalisierte sich die Wirtschaft spürbar. Die Firmen investierten mehr im Ausland und umgekehrt. Die Zahl der Kader ohne Schweizer Pass nahm zu. Und auch Bund und Nationalbank stellten zunehmend Personal mit ausländischer Staatsangehörigkeit ein.

Diese Entwicklungen gab es natürlich nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa – ungefähr zur gleichen Zeit. Bei der Personenfreizügigkeit hinkte die Schweiz hingegen hinterher. Der freie Personenverkehr mit der EU wurde im Jahr 2004 schrittweise realisiert. In der EU gehörte die Personenfreizügigkeit hingegen schon vorher zu den Grundrechten. Wenn die Personenfreizügigkeit und nicht die Internationalisierung und das Internet die höhere Einwanderung verursacht, so müsste das in einem Ländervergleich sichtbar werden. D.h. bei den EU-Ländern müsste die Migration vor 2004 deutlich höher gewesen sein als in der Schweiz.

Die Daten zeigen jedoch für die EU-Staaten ein ziemlich ähnliches Bild wie für die Schweiz. Die Einwanderung hat sich in den kleineren EU-Staaten mit sprachverwandten Nachbarländern ähnlich entwickelt wie in der Schweiz. Das ist ein Hinweis dafür, dass die Bedeutung der Personenfreizügigkeit überschätzt wird.

Die markante, vorübergehende Zunahme der Einwanderung in die Schweiz in den Jahren 2007 und 2008 hat vor allem statistische Gründe. Weil die Daueraufenthalte erstmals nicht mehr begrenzt waren, haben zahlreiche EU-Staatsangehörige ihre 12-Monate-Kurzaufenthalte in der Schweiz in Daueraufenthalte umgewandelt. Zu beachten ist weiter, dass die EU im Jahr 2004 die Unionsbürgerrichtlinie eingeführt hat. Diese erweiterte die Aufenthaltsrechte von MigrantInnen. Die Auswirkungen dieser Neuerung auf die Migration werden aber als bescheiden eingestuft.

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