"Fachkräftemangel": Positiv für die Arbeitnehmenden und für die Volkswirtschaft

Blog Daniel Lampart

Der «Fachkräftemangel» ist viel besser als sein Ruf. Er zwingt die Firmen, Leute auszubilden, die Produktion besser zu strukturieren und führt zu Lohnerhöhungen. Also eigentlich genau das, was volkswirtschaftlich erwünscht ist. Die Klage über den Mangel ist vor allem eine Verteilungsfrage: Wer profitiert und wer zahlt?

Doch zunächst zur aktuellen Lage. Obwohl die Corona-Krise noch nicht überwunden ist, klagen viele Arbeitgeber, dass sie Mühe hätten, qualifiziertes Personal zu finden. Tatsächlich sieht man in den Statistiken, dass die Rekrutierung von Arbeitskräften etwas schwieriger geworden ist. Doch im historischen Vergleich ist das Ausmass des Mangels ziemlich bescheiden. Rund 30 Prozent der Firmen meldeten dem Bundesamt für Statistik im 2. Quartal 2021, sie hätten Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Im Vergleich beispielsweise zu den 1980er-Jahren ist das alles andere als besorgniserregend. Dort suchten über Jahre hinweg 50 bis 60 Prozent der Betriebe intensiv Fachkräfte, wie die Grafik unten zeigt. Die Wirtschaft expandierte trotzdem – nämlich von 1985 bis 1990 mit 2.9 Prozent jährlich. Gegenüber beispielsweise 1.9 Prozent von 2014 bis 2019.

Anteil der Firmen mit Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von qualifiziertem Personal

Meist sind es Arbeitgeber und selbst ernannte Wirtschaftsliberale, die sich am lautesten über den Fachkräftemangel beklagen. Dabei müsste man das Phänomen aus wirtschaftsliberaler Sicht locker nehmen. «Mangel» heisst eigentlich, dass die Preise – also der Lohn – auf dem Markt steigen müssen. Und dass sich die Firmen etwas einfallen lassen sollten, um keinen Mangel zu haben, wie zum Beispiel Personal auszubilden oder die Produktion effizienter zu machen. Das alles kostet die Firmen etwas. Während die Arbeitnehmenden profitieren. In Form von mehr Lohn oder einer Ausbildung im Betrieb.

In den 1980er- und teilweise noch in den 1990er-Jahren war es gang und gäbe, dass die Firmen Leute rein aufgrund ihres Potenzials einstellten, selbst wenn die BewerberInnen nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügten. Das Ziel war, sie an der Arbeit auszubilden. Heute erwarten die Firmen hingegen, dass die Stellensuchenden bereits die notwendigen Fertigkeiten mitbringen. Wenn das nicht der Fall ist, herrscht «Fachkräftemangel».

Für viele Arbeitnehmende war das damals ein Glücksfall. Selbst wenn die Arbeitgeber für ihre Ausbildung keinen Bedarf hatten, bestand die Chance, dennoch eine Stelle zu finden und eine Ausbildung zu erhalten. Ökonomisch gesprochen waren eigentlich «strukturell Arbeitslose» nicht arbeitslos, sondern angestellt.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob die Arbeitsmarktpolitik nicht einen Paradigmawechsel braucht. In vielen Köpfen geht es primär darum, dass die Leute eine Stelle haben. Mit unerwünschten Entwicklungen wie in Deutschland, wo mit dieser Begründung viele prekäre Jobs entstanden. Dabei ist die Produktivität mindestens so wichtig. Eine hohe Produktivität erhöht den Spielraum – für Arbeitszeitverkürzungen, für Lohnerhöhungen oder einfach für eine höhere Arbeits- und Lebenszufriedenheit.

Top