Lohnerhöhungen, eine 13. AHV-Rente und mehr Prämienverbilligungen – damit das Geld bei denen ankommt, die es brauchen. Rede zum 1. Mai 2022.

Blog Daniel Lampart

Neulich hat sich eine 50-jährige Frau bei uns im SGB gemeldet. Sie war relativ frisch geschieden und arbeitet Teilzeit, weil sie noch zu den Kindern schauen muss. Sie fand heraus, dass ihr Arbeitgeber die Beiträge für die Altersvorsorge selber einkassiert hat. Statt sie der AHV und der Pensionskasse zu überweisen. Wir Gewerkschaften konnten ihr helfen. Die Beiträge sind nun bezahlt und sie wird später etwas mehr Rente haben. Doch leider wird ihre Rente auch dann nicht zum Leben reichen.

Sie ist alles andere als alleine. Frauen arbeiten häufiger in wichtigen, aber schlechter bezahlten Berufen wie der Langzeitpflege oder der Reinigung. Und sie arbeiten Teilzeit, weil sie daneben gratis einen grossen Teil der Betreuungsaufgaben übernehmen. Fast jede sechste Frau im Rentenalter ist heute auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Weil die AHV nicht zum Leben reicht und viele keine oder nur eine kleine Pensionskassenrente haben.

Angesichts dieser Situation wäre es das normalste auf der Welt, dass die Politik in Bern etwas für die Altersvorsorge der Frauen tun würde. Indem sie die AHV-Renten erhöht. Doch im Bundeshaus geschieht das Gegenteil. Arbeitgeber und Wirtschaftsvertreter wollen das Rentenalter der Frauen heraufsetzen. Die AHV müsse sparen, behaupten sie. Und zahlen sollen das ausgerechnet die Frauen. Mit einer Erhöhung des Rentenalters von 64 auf 65 Jahren. Dabei arbeiten bereits heute immer mehr Frauen bis 65. Sofern es die Gesundheit zulässt und sie eine Stelle haben. Denn mit einem Jahr länger arbeiten haben sie wenigstens 5 Prozent mehr Rente. Bei einer Erhöhung des Rentenalters auf 65 fällt diese Möglichkeit weg. Die Frauenrenten werden weiter sinken. Diese unsoziale Verschlechterung regt viele auf. Dass das Referendum mit über 150‘000 Unterschriften zustande gekommen ist, zeigt das überdeutlich.

Es ginge auch anders. Vor 50 Jahren gaben Bundesrat und Parlament in der Altersvorsorge nämlich Vollgas. Weil sie Angst hatten. Denn wir Gewerkschaften und die anderen sozialen Kräfte im Land hatten Initiativen für einen Ausbau der AHV lanciert. Diese AHV-Offensive hatte eine enorme, positive Wirkung. Wisst ihr, dass das Parlament die AHV-Renten Anfang der 1970er-Jahre mehr als verdoppelt hat? Im Vergleich zu den damaligen Löhnen waren die Renten danach sogar um rund ein Drittel höher als heute. Und wisst ihr, dass dieser Entscheid im Parlament einstimmig ausgefallen ist? Das zeigt, dass soziale Fortschritte in der Schweiz problemlos möglich sind, wenn die politischen Mehrheiten das wollen.

Heute greifen Arbeitgeber und Wirtschaftsvertreter hingegen die AHV an. Zuerst über die Erhöhung des Frauenrentenalters. Dann – indem sie die Jungfreisinningen vorgeschoben haben – mit der Einführung von Rentenalter 67. Ihr Plan ist, die Altersvorsorge nach und nach zu privatisieren. Denn wenn es der AHV schlechter geht, profitieren die Banken und Versicherungen mit ihren privaten Vorsorgeprodukten der 3. Säule. Und die Topverdiener sparen Steuern und Abgaben. In Bundesbern sind zahlreiche Parlamentsvorstösse eingereicht, welche die private 3. Säule ausbauen wollen. Wenn wir uns nicht wehren, wird die Altersvorsorge schleichend privatisiert.

Es ist alles andere als überraschend, dass die UBS seit Jahren gegen die AHV schiesst und die Zukunft der AHV schlecht redet. Vor einigen Wochen traf ich eine UBS-Kaderfrau mit Uni-Abschluss und einem Lohn, der wohl deutlich über 200‘000 Franken liegt. Sie beklagte sich über die „Alten“, denen es wirtschaftlich gut ginge. Diese lebten immer mehr auf Kosten der jungen. Das sei keine Generationensolidarität. Ich war ziemlich erstaunt ihr einfaches Weltbild. Ich fragte sie, wer denn ihre Ausbildung bezahlt hat? Wer die Schweizer Wirtschaft oder die UBS aufgebaut hat? Ich fragte sie: „Wer hat das alles gemacht, damit Sie einen Lohn von mehr als 200‘000 Fr. verdienen können?“ Sie hatte darauf keine Antwort. Tatsache ist: Ohne die Investitionen und die Arbeit unsere Eltern wären wir jüngere arme Robinson Crusoes. Wir müssten lernen, primitive Kleider zu nähen und primitive Häuser zu bauen. Dank der Arbeit unserer Eltern haben wir jüngeren hingegen einen höheren Wohlstand. Dank der Arbeit unserer Eltern geht es uns wirtschaftlich viel besser. Das und viele andere Zusammenhänge sind die Basis der Generationensolidarität.

Die Fragen der Einkommens- und Sozialpolitik werden mit der anziehenden Teuerung neu gestellt. Erstmals seit mehr als 10 Jahren steigen die Preise wieder. Zusätzlich droht ein Prämienschock bei den Krankenkassen von bis zu 10 Prozent. Generelle Lohnerhöhungen und höhere Prämienverbilligungen sind in dieser Situation ein Muss! Ohne Teuerungsausgleich hätten Berufstätige mit einem mittleren Lohn real 1600 Franken weniger Einkommen pro Jahr. Für Paare mit Kindern, wo beide Elternteile berufstätig sind, würde das eine Real-Lohneinbusse von 2200 Franken bedeuten. Bei der AHV gibt es einen gesetzlichen Teuerungsausgleich. Den Teuerungsausgleich bei den Pensionskassen hat der Bundesrat vor 50 Jahren versprochen. Bis heute ist das Versprechen nicht eingelöst.  

Ein steigender Teil der Teuerung kommt von inländischen Firmen, welche das Umfeld nutzen, um ihre Preise anzupassen und die Margen zu verbessern. Das hängt auch mit den Lieferengpässen bei verschiedenen Halbfabrikaten und Rohstoffen zusammen. Interessant ist, dass diese Lieferengpässe nicht einfach vom Himmel fallen. Neben der schrecklichen Invasion in der Ukraine und dem Lockdown in China sind diese auch durch die Unternehmen selber verursacht. Denn um mehr kurzfristigen Gewinn zu machen, haben viele Firmen in den letzten 25 Jahren ihre Lager abgebaut. Das ist auch als „Just-in-Time“-Produktion bekannt. Diese Lager fehlen nun.

Und nicht nur das. Habt ihr euch in letzter Zeit auch gefragt, warum die Welt in relativ kurzen Abständen von bedrohlichen Krisen heimgesucht wird? Nach der Finanzkrise kam die Corona-Krise. Und nun die Ukraine-Invasion mit ihren wirtschaftlichen Folgen. Natürlich hat jede Krise andere Auslöser und Hintergründe. Doch diese Krisen haben etwas gemeinsam. Um die kurzfristigen Gewinne zu steigern, haben viele Unternehmen Reserven und Puffer abgebaut. Darum haben die Krisen nun grössere Auswirkungen. Vor der Finanzkrise senkten die Banken ihr Eigenkapital, was sie in der Krise anfälliger machte. Die Spitäler sparten bei den Personalkapazitäten. Die Privatspitäler hatten mehr Gewinn. Und die Kantonsspitäler kosteten die Kantone weniger. Doch in der Corona-Krise rächte sich dieses kurzsichtige Verhalten. Weil die Privatwirtschaft immer weniger Puffer hat, muss der Bund einspringen und mit Konjunkturprogrammen grössere Krisen verhindern. Es klingt zwar abgedroschen, aber es ist leider nach wie vor zutreffend. „Gewinne privat, Verluste dem Staat.“

Aber zurück zur Einkommenspolitik. Eigentlich ist es klar, was nun geschehen muss. Es braucht eine 13. AHV-Rente und höhere Prämienverbilligungen. Und die Topeinkommen und Firmen müssten sich stärker an der Finanzierung beteiligen. Aber das Parlament in Bern hat das noch nicht begreifen. Wir mussten in den letzten Jahren deshalb gegen unsoziale Steuersenkungen das Referendum ergreifen. Doch wir haben immer gewonnen! Wir haben die Unternehmenssteuerreform III gekippt. Und wir haben die höheren Kinderabzüge bei der Bundessteuer und die Abschaffung der Emissionsabgabe erfolgreich bekämpft. Die Bevölkerung sagt inzwischen klar Nein zu Privilegien für Firmen und Oberschicht. Doch im Widerspruch zu diesen Volksentscheiden versuchen National- und Ständerat erneut, Topverdiener und Firmen zu entlasten. Statt die Prämienverbilligungen und die AHV-Renten zu erhöhen. Der neuste Coup ist, die Verrechnungssteuer für vermögende Obligationenbesitzer abzuschaffen. Während die Normalverdienenden auf ihrem Sparbüchlein weiter Verrechnungsteuer zahlen müssen. Man fragt sich: Weiss die Parlamentsmehrheit eigentlich, von wem sie gewählt wurde? Offenbar nicht. Und so wird die Bevölkerung im September halt nochmals nein zur Abschaffung der Verrechnungssteuer für Vermögende sagen müssen.

Die Schweiz ist so reich wie noch nie. Das Geld für gute Renten und gute Löhne ist vorhanden. Dank den Gewerkschaften und den anderen fortschrittlichen Kräften geht es den Menschen mit unteren und mittleren Einkommen heute wesentlich besser als früher. Wir haben die bisherigen Errungenschaften erfolgreich verteidigt. Und wir setzen uns für bessere Löhne, mehr Prämienverbilligungen und eine 13. AHV-Rente ein. Damit das Geld bei denen ankommt, die es brauchen.

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