«Fachkräftemangel!» heisst es fast immer, wenn man mit Arbeitgebern spricht. Es sei schwierig, die Stellen zu besetzen. Sei es in der Pflege, im Gastgewerbe oder in der Informatik. Momentan gibt es rund 110'000 offene Stellen, wie das Bundesamt für Statistik berichtete. Andere Erhebungen, die auch die offenen Stellen der Stellenvermittler mit einrechnen, kommen auf etwas höhere Zahlen. Aber bei diesen dürften Stellen doppelt gezählt werden.
Ziemlich irritierend ist jedoch, dass trotz dieser grossen Zahl an offenen Stellen nach wie vor ungefähr 200'000 Personen erwerbslos sind. Die Betroffenen haben keine Stelle und suchen aktiv nach Arbeit. Dazu kommen nochmals 250'000 «Unterbeschäftigte». Das sind Berufstätige, die Teilzeit arbeiten und ihr Pensum aufstocken möchten. Dass es gleichzeitig viele offene Stellen und Stellensuchende gibt, zeigt: Angebot und Nachfrage finden sich auf dem Schweizer Arbeitsmarkt richtig.
Grundsätzlich ist das nichts Neues. Es gab immer Leute, die nach einer Ausbildung oder einer Kündigung Zeit brauchten, um eine passende Stelle zu finden. Auch die Arbeitgeber müssen oft eine Weile suchen, bis sie die passende KandidatIn finden. Was aber neu ist, ist das Ausmass dieses «Mismatches».
Die Klage über den «Fachkräftemangel» gab es beispielsweise auch im Jahr 2000. Damals gab es ähnlich viele offene Stellen wie heute – wenn man die Zahl in Bezug setzt zur damaligen Grösse des Arbeitsmarktes. Im Unterschied zu heute ging die Zahl der Erwerbslosen aber markant zurück. Es waren weniger als 120'000 Personen auf Stellensuche. Im Unterschied zu den 200'000 von heute.
Man kann zu schätzen versuchen, wie hoch heute die Erwerbslosigkeit wäre, wenn der Arbeitsmarkt funktionieren wie in den Jahren 1992 bis 2004 funktionieren würde. Bei 120'000 offenen Stellen wäre die Erwerbslosigkeit ungefähr halb so hoch als heute. Was genau die Gründe für die hohe Erwerbslosigkeit sind, ist auch unter Fachleuten nicht wirklich klar. Die Praxis zeigt, dass die Firmen bei der Personalsuche heute spürbar wählerischer sind als früher. Damals gaben sie eher Leuten eine Chance, die nicht über die gewünschte Ausbildung verfügten und bildeten sie selber aus. Heute schieben sie die Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung viel stärker auf die Arbeitnehmenden und den Staat. Dazu kommt, dass die Personalabteilungen in den grösseren Firmen oft umständlich und bürokratisch agieren. Die Rekrutierung von Personal ist effizienter, wenn sich die Betriebsabteilungen selber darum kümmern.