Einen Monat lang herrschten Angst und Verunsicherung am Arbeitsplatz. Nun hat der Bundesrat beim Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmer vor dem Coronavirus auf Druck der Gewerkschaften endlich die längst fällige Wende vollzogen.
Mit der Einführung des Beschäftigungsverbots für besonders gefährdete Arbeitnehmende hatte der Bundesrat am 16. März eine gute und einfach verständliche Lösung gefunden: Besonders gefährdete Arbeitnehmende sollen entweder im Homeoffice arbeiten, oder ihnen steht die Lohnfortzahlung bei ärztlichem Attest zu. Doch nur vier Tage später hat der Bundesrat am 20 März dem Druck gewisser Arbeitgeber nachgegeben und den Schutz faktisch wieder abgeschafft. Seither herrschten Angst und Verunsicherung am Arbeitsplatz.
Und seither setzten sich die Gewerkschaften hartnäckig dafür ein, das Blatt wieder zu wenden. Am 17. April ging der Bundesrat noch einmal über die Bücher, und nun besteht wieder Schutz. Die neue Verordnung ist allerdings komplizierter und schwerfälliger als die erste Version. In der Praxis bestehen deshalb immer noch Unsicherheiten bei den Arbeitnehmenden. Und gewisse Arbeitgeber versuchen sogar auf zynische und verantwortungslose Art und Weise, besonders gefährdete Arbeitnehmende trotz gegenteiliger Rechtsnorm weiterhin zur Arbeit zu zwingen. So nicht: Die Arbeitgeber müssen nun das neue Recht, dass am 17. April in Kraft getreten ist, einhalten.
Trotz Kaskade: Einsatz im Betrieb ist grundsätzlich freiwillig
Der neue Art. 10c weist einen Kaskaden-Aufbau auf: Als Grundsatz gilt die Arbeit im Homeoffice, am anderen Ende der Kaskade besteht ein Lohnanspruch des Arbeitnehmenden, ohne dafür arbeiten zu müssen, wenn er zu Hause bleibt. Diese letzte Regel entspricht einem Beschäftigungsverbot für den Arbeitgeber, wie es beispielsweise auch für schwangere Frauen gilt.
Die Kaskade ist folgendermassen geregelt: Falls Arbeit im Homeoffice völlig unmöglich ist (auch nicht eine Ersatztätigkeit), darf der Arbeitgeber unter sehr eng definierten Voraussetzungen Arbeit im Betrieb anbieten und gefährdete Arbeitnehmende im Betrieb beschäftigen Voraussetzung:
- Sie dürfen nur vor Ort beschäftigt werden, wenn (und nur solange) dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist.
- Zudem muss der Arbeitsplatz so ausgestaltet werden, «dass jeder enge Kontakt mit anderen Personen ausgeschlossen ist, namentlich indem ein Einzelraum oder ein klar abgegrenzter Arbeitsbereich unter Berücksichtigung des Mindestabstandes von 2 Metern zur Verfügung gestellt wird».
- In Fällen, «in denen ein enger Kontakt nicht jederzeit vermieden werden kann, werden angemessene Schutzmassnahmen nach dem STOP-Prinzip ergriffen (Substitution, technische Massnahmen, organisatorische Massnahmen, persönliche Schutzausrüstung)».
- Absatz 5 hält weiter fest, dass der Arbeitgeber die betroffenen Arbeitnehmenden immer anzuhören hat, bevor er die vorgesehenen Massnahmen (Ersatzarbeit zu Hause oder im Betrieb, Umsetzung des Sicherheitsstandards) trifft.
Man sieht, wie – völlig zu Recht – extrem hohe Anforderungen an den Gesundheitsschutz gestellt werden.
Doch selbst dann, wenn der Arbeitgeber alle Voraussetzungen erfüllt, kann der Arbeitnehmer sich weigern, im Betrieb zur Arbeit zu gehen. Als letzte Stufe der Kaskade darf der betroffenen Arbeitnehmende die zugewiesene Arbeit ablehnen, wenn
- der Arbeitgeber die oben geschilderten Voraussetzungen nicht erfüllt
- oder «die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus trotz der vom Arbeitgeber getroffenen Massnahmen … aus besonderen Gründen als zu hoch für sich erachtet».
Der Gründe können viele sein:
- neben dem Misstrauen gegenüber den Massnahmen des Arbeitgebers kann es auch
- persönliche Ängstlichkeit sein, oder
- Gefahren auf dem Arbeitsweg, wenn beispielsweise der ÖV benutzt werden muss.
Die Gründe, die zur Ablehnung der Arbeit führen können, sind zu recht offengelassen, und der Arbeitnehmer kann hier selbst abwägen und sich diese einfach durch ein ärztliches Attest lassen, falls der Arbeitgeber darauf besteht. Selbstverständlich dürfen im Attest keine Diagnosen gestellt werden (Datenschutz).
Aus juristischer Sicht stellt sich die Frage, ob besonders ängstliche oder sensible Risikopersonen vom Arzt nicht sowieso als krankheitsbedingt arbeitsunfähig bescheinigt werden müssten. Denn diese sind während der Corona-Pandemie eigentlich aus psychischen Gründen «arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähig». Damit läge eine Arbeitsunfähigkeit nach Art. 324a OR vor, und die Arbeitgeberin bzw. eine Taggeldversicherung hätte die entsprechenden Leistungen zu erbringen.
Ohne Krankschreibung haben besonders gefährdete Arbeitnehmende Anrecht auf den vollen Lohn, sie können aber auch ihr Einverständnis geben, dass der Arbeitgeber für sie Kurzarbeit beantragt.
Kündigungsschutz bis zum Ende der Pandemie
Materiell handelt es sich bei Art. 10c um ein Beschäftigungsverbot. Hier gelten Sperrfristen in Sachen Kündigung, so etwa beim Beschäftigungsverbot für Schwangere und stillende Mütter. Analog gilt für das Beschäftigungsverbot gemäss der Covid10-Verordnung 2 die gleiche Sperrfrist. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers: Niemand soll dann gekündigt werden, wenn er oder sie in der Regel keine Chance bei der Stellensuche hat, weil sie oder er kaum angestellt wird, falls der Arbeitgeber weiss, dass sie nach der Kündigungsfrist an der Arbeit verhindert wären– das wäre bei Covid-Risikopersonen gerade der Fall.
Das Ziel der Covid-19-Verordnung 2 ist der epidemiologische Schutz der Bevölkerung. Es sollen sich möglichst wenige Personen mit dem Coronavirus anstecken. Es ist daher im Interesse der grösstmöglichen Wirksamkeit der besonders gefährdete Arbeitnehmende betreffenden Artikel der Verordnung, dass Arbeitnehmende gegenüber dem Arbeitgeber ihre besondere Gefährdung offenbaren. Das werden die meisten nur dann tun, wenn sie mit dieser Information nicht ihren Arbeitsplatz gefährden. Aus diesen Gründen liegt aus der Sicht des SGB eine Sperrfrist für Entlassungen besonders gefährdeter Arbeitnehmender vor, solange die Corona-Pandemie anhält.