Im Alltag betrachten wir gewisse Rahmenbedingungen als selbstverständlich: Am Morgen den Nachwuchs in die Kita oder zu den Grosseltern bringen und ins Büro gehen, die Grossmutter anfragen, ob sie einspringen kann, wenn ein Kind krank ist, die Tochter in den Schulferien mit dem Grossvater in den Zoo schicken... Und von einem Tag auf den anderen ist dies alles nicht mehr möglich. Jetzt fällt auf, welch grossen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft die Grosselterngeneration unbezahlt – sowie unzählige Kita-Angestellte mit bescheidenen Löhnen und anstrengenden Arbeitsbedingungen normalerweise leisten.
Die Betreuung durch die Grosseltern fällt zurzeit ganz weg – und es könnte noch länger dauern, bis Grosseltern und Enkelkinder sich einander wieder annähern dürfen, ohne dass dies für erstere ein gesundheitliches oder gar tödliches Risiko ist. Die Schulen sind ebenfalls geschlossen. Der Bundesrat hat zwar angeordnet, dass die Kantone eine schulische (bis 6. Klasse) und vorschulische Betreuung anbieten müssen für Kinder, deren Eltern sie in dieser ausserordentlichen Situation nicht selbst betreuen können. Gleichzeitig müssen jedoch auch die Betreuungsinstitutionen die nötigen Sicherheitsvorkehrungen treffen, um ihr Personal zu schützen und die Weiterverbreitung von Covid zu stoppen. Die ist jedoch gerade in der Kinderbetreuung kaum umsetzbar: Trösten auf zwei Meter Distanz ist nicht möglich, geschweige denn Wickeln. Und anders als Gesundheitspersonal haben Kita-Angestellte auch keine Schutzkleider und -masken zur Verfügung.
Wie diese Probleme gelöst werden sollen, dazu sagt der Bund nichts – der Schweizer Föderalismus gebietet, dass die Kantone dies selber regeln. Und das tun sie auch, allerdings auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Einige Kantone appellieren an die Eltern, ihre Kinder zu Hause zu betreuen, überlassen ihnen jedoch die Einschätzung, ob dies zumutbar ist oder nicht – so dürfen vielerorts auch Personen im Home Office ihre Kinder betreuen lassen, um einigermassen produktiv arbeiten zu können. Andere Kantone behalten das Betreuungsangebot den Kindern vor, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten. Aber auch in der Definition der systemrelevanten Berufe driften die Kantone weit auseinander: Immer eingeschlossen sind Gesundheitsberufe. Doch schon die momentan unentbehrlichen Lebensmittelverkäuferinnen gehören in einigen Kantonen nicht mehr zur Anspruchsgruppe. Dieser Wildwuchs führt zu Unsicherheit in den Kitas, berechtigtem Widerstand der Kinderbetreuer_innen und zu grossen Ungleichheiten zwischen den Familien in der Schweiz. Nötig sind schweizweit gültige Kriterien, welche Berufsgruppen zurzeit Anspruch auf professionelle Kinderbetreuung haben und wie bei Härtefällen vorzugehen ist.
In der jetzigen Ausnahmesituation zeigt sich auch schmerzlich, wie wichtig die Organisation und Finanzierung der Kinderbetreuung als Service Public wären. Während die öffentlich finanzierten Schulen seit der Corona bedingten Schliessung ihre Energie und Ressourcen auf die Organisation von Fernunterricht und Notbetreuung konzentrieren können, sind die Kitas zusätzlich noch mit existenziellen Problemen konfrontiert. Die Familien werden je nach Kanton gebeten, auf die Leistung der Kitas zu verzichten, oder der Zugang wird ihnen gleich ganz verwehrt, gleichzeitig sind die Betriebe auf die Elternbeiträge angewiesen, um zu überleben. Kurzarbeit ist in vielen Fällen keine Lösung, denn es braucht die Mitarbeitenden, um den Betrieb in Kleingruppen aufrechtzuerhalten. Um nicht zu riskieren, wegen Corona einen guten Teil der unentbehrlichen Kita-Plätze zu verlieren, sind schweizweit einheitliche Massnahmen, wie sie der Kanton Basel-Stadt beschlossen hat, nötig: Die Eltern müssen ihre Beiträge nur zahlen, wenn sie die Betreuung auch in Anspruch nehmen, der Kanton bezahlt die Ausfälle (abzüglich Entschädigungen Dritter z.B. für Kurzarbeit, und Minderaufwand für Sachkosten), bis die Lage sich wieder normalisiert hat.
Wenn wir langsam wieder zur Normalität zurückkehren, müssen wir Antworten auf die Fragen finden, welche Arbeit wirklich systemrelevant und für das Funktionieren der Gesellschaft nötig ist, wie wir diese organisieren und vor allem finanzieren. Es ist höchste Zeit, dass die Verantwortung für Menschen, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden mehr Wertschätzung erfährt, als dies bis jetzt der Fall war, und dass sich diese auch in den Löhnen und Arbeitsbedingungen widerspiegelt.