Die anstehende Lohnrunde ist für die Erwerbstätigen zentral. Die Inflation hat sich nach Jahrzehnten zurückgemeldet und liegt aktuell bei hohen 3.5 Prozent. Bei der Energie und den Krankenkassenprämien zeichnen sich massive Erhöhungen ab. Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor sehr gut, reale Erhöhungen sind möglich und nötig. Die SGB-Gewerkschaften fordern deshalb generelle Lohnerhöhungen von 4 bis 5 Prozent, um die Teuerung auszugleichen, und die Stagnation der letzten Jahre zu kompensieren.
Die Schweizer Wirtschaft hat sich beeindruckend schnell von der Corona-Krise erholt. Bei der grossen Mehrheit der Firmen gehen die Geschäfte gut. Selbst in den von der Krise besonders stark getroffenen Branchen wie Gastgewerbe oder Luftfahrt überwiegen mittlerweile wieder die Positivmeldungen. Aufgrund der raschen Erholung hat sich auch die Beschäftigungssituation markant verbessert. Viele Branchen klagen über einen Fachkräftemangel, erstmals seit Langem auch das Gastgewerbe. Vielerorts spielen die Löhne und die Arbeitsbedingungen eine Schlüsselrolle.
Rückkehr der Teuerung nach langer Lohnstagnation
Die Lohnentwicklung in den letzten Jahren war ungenügend. Die Lohnschere ist wieder aufgegangen. Berufstätige mit tieferen und mittleren Einkommen haben 2022 nach Abzug der Teuerung weniger Lohn als im Jahr 2016. Die Null- und Negativteuerung hat zu einer Individualisierung der Lohnpolitik geführt, was das Aufgehen der Lohnschere begünstigt hat. Der Anteil der generellen Lohnerhöhungen ist auf rund 30 Prozent gesunken.
Im Herbst 2021 ging eine lange Phase mit sehr geringer Teuerung zu Ende. Die Teuerung dürfte über das ganze Jahr 2022 rund 3 Prozent betragen. In den Verhandlungsmonaten ist mit Teuerungsraten von rund 3.5 Prozent zu rechnen. Dazu kommt ein starker Anstieg der Krankenkassenprämien auf 2023 in der Grössenordnung von 5 bis 10 Prozent. «Die Lohnrunde 2022/23 bringt eine lohnpolitische Weichenstellung mit sich. Die gestiegene Teuerung führt dazu, dass generelle Lohnerhöhungen wieder besonders wichtig werden. Ohne generelle Lohnerhöhungen gibt es Kaufkraftverluste für viele Arbeitnehmende», sagt Daniel Lampart, Chefökonom SGB.
SGB-Verbände fordern 4 bis 5 Prozent mehr
Die SGB-Verbände fordern Lohnerhöhungen von 4 bis 5 Prozent. Diese Lohnforderung setzt sich aus drei Teilen zusammen. Erstens braucht es den Ausgleich der Teuerung von 3 bis 3.5 Prozent. Zweitens müssen die Reallöhne gemäss dem Wachstum der Arbeitsproduktivität von rund einem Prozent pro Jahr erhöht werden. Drittens gibt es einen Nachholbedarf aufgrund der ungenügenden Lohnentwicklung in den letzten Jahren. Pierre-Yves Maillard, Präsident SGB, bekräftigt: «Wenn man angesichts solcher Zahlen die Löhne nicht an die Realität der gestiegenen Lebenshaltungskosten anpasst, wann dann?»
«Die Angestelltein in der Luftfahrt haben Hand geboten, dem Unternehmen zu helfen, die Krisenjahre zu überstehen», erinnert Sandrine Nikolic-Fuss von der Gewerkschaft des Kabinenpersonals. «Jetzt ist es an den Unternehmen, bei den Lohnverhandlungen ihre Versprechen zu halten und die Löhne zu erhöhen. Und keine Löhne unter 4’000 Franken mehr zu bezahlen.»
Unia-Präsidentin Vania Alleva stellt fest, dass in sehr vielen Branchen wie Bau, Gewerbe und Detailhandel Hochkonjunktur herrscht. Und auch die Industrie habe gute Aussichten. «Höchste Zeit also, dass die breite Bevölkerung endlich echte und spürbare Lohnerhöhungen erhält. Die Wirtschaft kann es sich leisten», betont Alleva.
Auch in der stark beanspruchten Logistikbranche gibt es das Bedürfnis für Lohnerhöhungen: «Der Onlinehandel wurde stark befeuert durch die Coronakrise. Die Angestellten der Logistik wurden als systemrelevant bezeichnet. Sie brauchen jetzt bessere Löhne, angefangen beim skandalös tiefen PostCom-Mindestlohn», fordert Matteo Antonini, Leiter Logistik bei syndicom.