Nur mit flankierenden Massnahmen

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Verfasst durch Luca Cirigliano

Gefährliches Home-Office

Immer mehr Arbeitgeber entdecken Home-Offices als „billige“ Arbeit. Sie überwälzen so Infrastruktur- und Mietkosten auf die Angestellten. Für diese bedeutet Home-Office oft mehr Stress und mehr Vereinsamung. Deshalb müssen sie vermehrt geschützt werden, voran und vorab durch eine lückenlose Arbeitszeiterfassung. 

Diesen Sommer wurde die „Home Office Umfrage“ publiziert. Danach führen 45 % der regelmässig im Home-Office Arbeitenden keine Arbeitszeiterfassung durch. Diese 45 % erklären, auf der Basis von Vertrauensarbeitszeit zu arbeiten. Dieser Wert ist sehr hoch, denn in der Gesamterwerbsbevölkerung sind es „nur“ 16,7 %, die angeben, keine Arbeitszeiterfassung durchzuführen (siehe hier).

Nur oberste Kader im Home-Office?

Zur Erinnerung: Gesetzlich dürfen nur die „höheren leitenden Angestellten“ oder Wissenschaftler auf die Arbeitszeiterfassung verzichten (was deutlich weniger als 3% der Erwerbsbevölkerung ausmachen dürfte). Dies aus gutem Grund. Arbeitszeiterfassung ist der wirksamste Schutz vor psychosozialem Stress (Überarbeitung, Schlafstörung, Überforderung), der schliesslich zu Burn-Outs, Depressionen und weiteren Gesundheitsproblemen führt. Was für die klassischen Büro-Arbeitsverhältnisse gilt, ist umso wichtiger für Home-Office, wo sich Arbeitszeit, Familienarbeit und Regeneration (Pausen/Freizeit) aufgrund der fehlenden räumlichen Trennung vermischen.

Es kann nicht angenommen werden, dass eine Mehrheit der Home-Office-Arbeitnehmenden zum obersten Kader gehört. Zwar geben 60 % der Home-Office-Angestellten an, irgendeine „Vorgesetztenfunktion“ innezuhaben. Diese Funktion kann aber nicht mit der Definition des höheren leitenden Angestellten übereinstimmen, weil letztere nicht bloss auf eine Kaderfunktion, sondern auf eine unternehmerähnliche Stellung abstellt (vgl. Art. 9 ArGV1), um von der Arbeitszeiterfassung dispensiert zu werden.

Keine Arbeitszeiterfassung – keine Freizeit!

52 % der Angestellten im Home-Office-Bereich sind heute Frauen. Gerade Frauen sehen sich heute leider immer noch der Doppelbelastung von Erwerbs- und unbezahlter Care-Arbeit ausgesetzt.[1] 54,7 % der Studienteilnehmenden geben als Pausenaktivität „im Haushalt Arbeiten erledigen“ an – was stark mit negativem psychischem Wohlbefinden korreliert. Dabei sehen die meisten Betroffenen das Problem, dass im Home-Office keine Regeneration stattfinden kann, wenn die gesetzlichen Arbeitspausen nicht eingehalten werden. 52 % der Home-Office-Angestellten erachten es denn auch als nötig, trotz physischer Nähe Arbeit und Privates besser trennen zu müssen. Dies gelingt offenbar nur einer Minderheit.

54 % geben an, unter leichten bis mittelschweren Einschlafstörungen zu leiden. Dies korreliert mit der Tatsache, dass Home-Office-Arbeiten häufiger in den Abendstunden erledigt werden, was die Schlafqualität beeinträchtigt und so langfristig die Gesundheit gefährdet.

Im Zusammenhang mit dem Wohlbefinden ist auch die „Effort-Reward-Imbalance“ zu nennen: bei dieser handelt es sich um ein psychosoziales Gesundheitsrisiko, welches dann entsteht, wenn eine hohe persönliche Verausgabung bei der Arbeit mit einer damit nur niedrigen Belohnung zusammenfällt („Gratifikationskrise). Ganze 31 % der Home-Office-Angestellten weisen eine solche Gratifikationskrise auf und fühlen sich und ihre Arbeit nicht genügend geschätzt. Gratifikationskrisen sind auch ein psychosoziales Gesundheitsrisiko und führen zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, krank zu werden. Gegenmittel dazu ist, dass Arbeitgeber sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen bzw. mit den Chefs regelmässig von Angesicht zu Angesicht austauschen können. Deshalb sollten pro Woche mindestens 40 % der Arbeitszeit in der Zentrale (und nicht im Home-Office) vorgesehen werden.

Ein grosses Geschäft aus Arbeitgebersicht

Home-Office birgt für die Betroffenen also gewichtige psychosoziale Risiken. Wieso aber haben so viele Unternehmungen das Home-Office entdeckt? Weil es eine „billige“ Form der Arbeit darstellt. Stromrechnungen, neue Möbel, Drucker-Tinte: alles kann man dem Arbeitnehmenden überwälzen. Eventuell kann der Arbeitgeber gleich noch seine Bürofläche verkleinern und an der Miete schrauben… Der Arbeitgeber spart im Vergleich zur „normalen“ Arbeit viele Infrastrukturkosten.

Home Office nur mit „flankierenden Massnahmen“!

Dem Home-Office muss ein enges rechtliches Korsett gegeben werden, um die negativen Auswirkungen für die Arbeitnehmenden möglichst zu minimieren.

Arbeitnehmende können sich gegen Home-Office wehren. Dieses darf nämlich nur freiwillig eingeführt werden! Der Arbeitsort ist Bestandteil des Arbeitsvertrages und die Einführung des Home-Office bedarf immer der Anpassung durch einen neuen Arbeitsvertrag. Auch mit einer Änderungskündigung hat der Arbeitgeber nicht die Möglichkeit, Home-Office gegen den Willen des Arbeitnehmenden durchzusetzen, weil die Einführung des Home-Office kein sachlicher Kündigungsgrund im Sinne des Gesetzes ist.

Weiter ist dafür zu sorgen, dass alle Kosten sowie die Anschaffung, Reparatur bzw. Aktualisierung von Geräten, Software etc. für das Home-Office vollumfänglich vom Arbeitgeber getragen werden. Für Home-Office muss nämlich das Heimarbeitsgesetz im Sinne des Arbeitnehmerschutzes nach Treu und Glauben analog angewendet werden.

Arbeitszeiterfassung muss im Bereich des Home-Offices (und bei anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen) weiterhin gesetzliche Pflicht sein. Ohne diese darf es überhaupt kein Home-Office geben: Denn erst die Einhaltung der Bestimmungen gegen die Überarbeitung (Pausen, Höchstarbeitszeiten, Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit) schützt vor psychosozialen Erkrankungen wie Burn-Out, Depressionen oder Herzinfarkten. Zwingend müssen Überzeiten kompensiert und Pausen eingehalten werden. „Vertrauensarbeitszeit“ ist und bleibt im Bereich des Home-Office ein absolutes Tabu.

Die Erreichbarkeit muss in einem Vertrag geregelt werden: Es darf nicht sein, dass vom Arbeitnehmer z.B. verlangt wird, „rund um die Uhr“ erreichbar zu sein. Solche Zeiträume müssen vorgängig verbindlich festgemacht werden (z.B. zwischen 9 Uhr und 11.30 Uhr).

Spezifisch sollten in den Verträgen auch Fragen der Haftung bei Schäden oder Diebstahl im Home-Office (z.B. bei Einbrüchen, Wasserschäden, Dateiverlust) geregelt werden. Diese Haftung darf nicht dem Arbeitnehmenden überbürdet werden, sondern ist auf jeden Fall vom Arbeitgeber sicherzustellen. Dieser kann zusätzlich technisch einrichten, dass Daten z.B. in einer Cloud synchronisiert werden. Dies natürlich immer unter Wahrung des Datenschutzes und mit dem expliziten Einverständnis des Arbeitnehmers. Eine „Tele-Überwachung“ des Arbeitnehmers wäre illegal.

Fazit

Es besteht heute klar die Gefahr, Home-Office als Form der Selbstausbeutung zu etablieren. Daneben zeigen die Daten auch, dass Home-Office mit verschiedenen psychosozialen Risiken verbunden ist. Um diese möglichst gering zu halten, sind deshalb immer spezifische Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen. In Zukunft sind klare gesetzliche Bestimmungen im Gesetz, spezifisch im Heimarbeitsgesetz, zu integrieren. Auf jeden Fall ist mittels Software und Apps immer die Arbeitszeit zu erfassen.


[1]  Bei der Betreuung von Kindern sind über 90% der Care-Arbeit unbezahlt, bei der Betreuung von kranken und pflegebedürftigen Erwachsenen rund ein Drittel, vgl. dazu http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00408/index.html?lang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU042l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpnO2Yuq2Z6gpJCDdXx_f2ym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A--

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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Daniel Lampart
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