Lohnkontrolle

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Vorteil Personenfreizügigkeit mit Lohnschutz – Verbesserung nötig

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Artikel

Kommentar zum Observatoriumsbericht vom 20. 6. 2024

Spätestens seit die SVP ihre neuste Exit-Initiative («Nachhaltigkeits-Initiative») eingereicht hat, ist die Diskussion über die Schweizer Migrationspolitik wieder neu lanciert. Neu ist, dass sich auch der Economiesuisse-Präsident mit migrationskritischen Äusserungen einmischt. Doch bei all dieser Kritik stellt sich die Frage, was denn die Alternative zum heutigen System mit Personenfreizügigkeit und Flankierenden Massnahmen wäre. Ginge es den Arbeitnehmenden mit einem Punkte- oder Kontingentssystem besser?

Andere Länder wie Kanada, Australien oder das Vereinigte Königreich arbeiten mit Punktesystemen. Dort dürfen Personen einwandern, die vom Staat festgelegte Kriterien erfüllen. Also z.B. einen Uniabschluss haben und die Landessprache gut beherrschen. Tatsächlich wandern in Kanada viele Studierte ein. In der Realität arbeiten diese oft in Hilfsjobs – etwa im Gastgewerbe oder als Taxifahrer. Weil der Lohnschutz nicht gut ist, weisen Studien auch auf Lohndruck hin. Wer hingegen über das FZA in die Schweiz einwandert, braucht zuerst einen Arbeitsvertrag. Dank dieser Voraussetzung und dem Schweizer Lohnschutz sind Erwerbsbeteiligung und Lohnsituation in der Schweiz besser. In Kanada arbeiten nur 44 Prozent der in letzter Zeit eingewanderten AkademikerInnen in Stellen, die einen Hochschulabschluss brauchen. In der Schweiz ist diese Zahl viel höher.

Anteil der eingewanderten HochschulabsolventInnen mit entsprechenden Arbeitsstellen (in Prozent)

Quellen: Seco, Statistics Canada

Andere Länder arbeiten mit Kontingentssystemen – wie die Schweiz vor der Personenfreizügigkeit. Im früheren Kontingentssystem waren die Arbeitsbedingungen schlechter und es gab mehr Schwarzarbeit. Weil die Löhne kaum kontrolliert wurden und weil die Arbeitgeber die Kontingente mit Schwarzanstellungen und Kurzaufenthaltern zu umgehen versuchten, wodurch sich die Arbeitnehmenden schlechter gegen unfaire Behandlung wehren konnten. Der Einfluss auf die Höhe der Immigration war auch schon damals durch die Wirtschaftslage bestimmt. Allerdings hatten die lob-bystarken Branchen privilegierten Zugang, was den Strukturwandel behinderte.

Einwanderung in die Schweiz (Anteil an der ständigen Wohnbev., in Prozent)

Quellen: SEM, BFS, eig. Berechnungen. 1963 bis 1969 Beschränkung auf Betriebsebene, ab 1970 nationale Kon-tingente, ab 2002 FZA. Daten 1963 bis 1982 mit BFS-Immigrationszahlen geschätzt.

Neben der Wirtschaftslage haben die Internationalisierung der Wirtschaft und die Verbreitung des Internets bei der Stellensuche die Migrationsbewegungen beeinflusst. Vor dem Jahr 2000 musste man lokale Zeitungen kaufen, um zu erfahren, welche Stellen ausgeschrieben sind. Nach dem Jahr 2000 hat sich der Stellenmarkt ins Internet verlagert, so dass die offenen Stellen weltweit sichtbar wurden. Es ist daher nicht überraschend, dass die Einwanderungszahlen in den reicheren Volkswirtschaften ähnlich verliefen. Obwohl sie – wie andere EU-Länder – die Personenfreizügigkeit vor der Schweiz eingeführt hatten. Oder obwohl sie – wie Australien – ein Punktesystem haben.

Einwanderung: Schweiz, kleine EU-Länder (2002=100)
Nettoeinwanderung Schweiz, Australien (2003=100)

Quellen: Eurostat, OECD

Einzelne Ökonomen fordern eine «Zuwanderungsabgabe». Doch auch diese würde – wie das Kontingentssystem – zu schlechteren Arbeitsbedingungen führen. Zudem stellen sich Fragen, ob man Personen, die das Land verlassen, eine «Abwanderungsrückerstattung» zahlen müsste.
Viele besser als Abgaben wären Investitionen – auch im Bereich des Familiennachzugs. Jahr für Jahr kommen rund 40’000 bis 50’000 Personen über den Familiennachzug in die Schweiz. Das ist eine bedeutende Anzahl. Insbesondere bei den Frauen ist die Erwerbsbeteiligung im Vergleich zu den Schweizerinnen deutlich geringer. Ein Viertel der Zugezogenen hat keinen Berufsabschluss. Teilweise arbeiten sie in Hilfsjobs in Restaurants, in der Pflege usw. Oder sie versuchen, in der Schweiz einen Berufsabschluss zu machen, scheitern dann aber an mangelnder persönlicher und finanzieller Unterstützung. Hier könnte die Schweiz mit mehr Einsatz das Leben vieler verbessern.

Jahreserwerbseinkommen von 2009 zugezogenen Familienangehörigen ab 18 Jahren

Quellen: SEM, Büro BASS

Generell ist die Situation in der Berufslehre zunehmend besorgniserregend. Die Zahl der Lehrabschlüsse ist mittlerweile sogar rückläufig. Angesichts der teilweise tiefen Löhne von deutlich unter 5’000 Franken nach der Lehre sowie der Arbeitsbedingungen in gewissen Branchen ist das leider wenig überraschend. Gleichzeitig ist der Ausbildungsbedarf gross. So haben beispielsweise 29 Prozent des Pflege- und Betreuungspersonals in den Alters- und Pflegeheimen keinen Berufsabschluss. Davon die grosse Mehrheit mit ausländischer Staatsangehörigkeit.

Anzahl Lehrabschlüsse
Alters-/Pflegeheime: Bildungsabschluss der MA

Quellen: BFS, Obsan

Die Personenfreizügigkeit mit wirksamen Flankierenden Massnahmen ist Punkte- oder Kontingentssystemen überlegen. Allerdings gibt es diversen Handlungsbedarf. Die Arbeitgeber haben stärker profitiert. Die Reallöhne stagnieren. Die Arbeitnehmenden erwarten zu Recht, dass auch sie ihren Anteil an der guten Wirtschaftsentwicklung erhalten. Die Löhne müssen künftig steigen. Der Lohnschutz weist grössere Lücken auf – beispielsweise sind nur knapp 50 Prozent der Löhne durch GAV-Mindestlöhne geschützt. Zudem muss die inländische Erwerbsbevölkerung stärker un-terstützt werden. Gerade für Erwachsene – auch aus dem Familiennachzug - ist es sehr schwierig, einen Lehrabschluss nachzuholen. Hier braucht es neue Angebote und eine bessere Betreuung. Generell muss die Lehre aufgewertet werden – mit humaneren Arbeitszeiten während der Lehre und besseren Lohnperspektiven und Arbeitsbedingungen nach dem Abschluss.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

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Daniel Lampart
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