Die Einkommens- und Abgabenpolitik in der Schweiz geht klar in die falsche Richtung. Das zeigt der neuste SGB-Verteilungsbericht. Leidtragende sind die unteren und mittleren Einkommen. Ihre Reallöhne stagnieren, während die Krankenkassen-Prämienlast steigt. Profiteure sind die Gutsituierten. Die obersten Löhne sind stark gestiegen. Die Firmen schütten mehr Dividenden aus. Und die Kantone senken die Steuern für hohe Einkommen und Vermögen.
Bei den unteren und mittleren Reallöhnen droht ein «verlorenes Jahrzehnt». Real sind sie heute nicht wesentlich höher als im Jahr 2016. Hauptgrund ist, dass zahlreiche Arbeitgeber ihren Kunden zwar höhere Preise verrechneten, aber nicht bereit waren, ihren Angestellten den Teuerungsausgleich zu gewähren. Die Kader und TopverdienerInnen haben heute hingegen 3’000 Franken pro Monat mehr (oberstes Prozent der Löhne). Erstmals haben in der Schweiz über 4’000 Personen ein Jahresgehalt
von einer Million Franken und mehr.
Auch die Steuer- und Abgabepolitik spielte den Gutsituierten und der Oberschicht in die Hände. Die Kantone haben wieder damit begonnen, die Einkommens- und Vermögenssteuern zu senken. Weitere Steuersenkungen sind geplant. Auf der anderen Seite wiegt die Krankenkassen-Prämienlast für die unteren und mittleren Einkommen immer schwerer – auch weil die Kantone die Prämienverbilligungen nur ungenügend anpassen. Eine vierköpfige Familie zahlt heute mehr als 1000 Franken pro Monat für die Krankenkasse – auch wenn sie ein Hausarzt- oder HMO-Modell gewählt hat. Normal- und Geringverdienende haben heute nach Abzug der Steuern und der Wohnkosten deshalb
weniger Geld zum Leben als im Jahr 2016. Die Topverdiener-Haushalte hingegen stehen finanziell besser da. Ihre Bruttoeinkommen stiegen. Und weil die Schweiz das Gesundheitswesen als einziges Land in Europa über eine Kopfsteuer finanziert, müssen sie sich weniger an der Entwicklung der Gesundheitskosten beteiligen als anderswo. Die Schweiz ist deshalb das Land in Europa, welches die Ungleichverteilungen am geringsten korrigiert.
Es braucht eine Wende in der Schweizer Lohn- und Einkommenspolitik. Die Reallöhne der Normal- und Geringverdienenden müssen markant stiegen. Wer eine Lehre gemacht hat, soll mindestens 5’000 Franken pro Monat verdienen. Generell müssen die Löhne mindestens 4’500 Franken betragen. Diese Lohnerhöhungen sind betriebswirtschaftlich möglich. Die Ertragslage und die Margensituation der Firmen sind gut In der Abgabenpolitik müssen die «Kopfsteuern» bei den Krankenkassenprämien gesenkt werden – über tiefere Prämienverbilligungen. Wie das die Prämien-Entlastungs-Initiative vorsieht. Niemand soll mehr als 10 Prozent des Einkommens für die Prämien ausgeben müssen. Die geplanten Senkungen der Einkommens- und Vermögenssteuern gehen hingegen in die falsche Richtung. Sie stellen diejenigen noch besser, die es nicht nötig haben.
Der SGB-Verteilungsbericht arbeitet mit «Musterhaushalten» auf Basis von Lohn- und Steuerdaten. Im Unterschied zu den Verteilungsanalysen des Bundes, die auf einer Stichprobe von knapp 4'000 Haushalten basieren, stützt sich der SGB-Verteilungsbericht auf eine Datenbasis von einer Million Beobachtungen und mehr. Dadurch sind genauere Aussagen über die Verteilung möglich – insbesondere was die Verteilung der Einkommen ganz oben oder ganz unten betrifft