Ein neues Bundesgerichtsurteil, laut dem Mütter nicht mehr automatisch Anspruch auf nachehelichen Unterhalt haben, erhöht den Druck auf Frauen, während der Ehe finanziell unabhängig zu bleiben. Damit dies möglich ist, braucht es ein zahlbares und zugängliches Angebot an familien- und schulergänzender Kinderbetreuung. Mit höheren Bundesbeiträgen und Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen will die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) zu diesem Ziel beitragen. Dies ist ein guter Anfang, doch mit der Kita-Initiative schlägt der SGB nachhaltigere Massnahmen vor.
Am 29. April hat die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats (WBK-N) mit 18 zu 7 Stimmen beschlossen, dass der Bund zukünftig bis zu einem Fünftel der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuungskosten übernehmen soll, um die Elterntarife zu senken. Der Bundesbeitrag soll dabei als Subjektfinanzierung direkt an die Familien gehen. Ausserdem soll sich der Bund via Programmvereinbarungen mit den Kantonen an der Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der frühen Förderung beteiligen.
Mit diesen Beschlüssen will die Kommission die parlamentarische Initiative 21.403 „Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung“ umsetzen, die sie vor gut einem Jahr auch dank des hartnäckigen Engagements des SGB eingereicht hat. Sie setzt damit der Salamitaktik, die bisher bei den Bundesfinanzhilfen für die Kinderbetreuung herrschte, ein Ende: Denn seit 2003 hat das Parlament diese Finanzhilfen immer nur für wenige Jahre gesprochen und regelmässig verlängert. Neu soll der Bundesbeitrag für die Reduktion der Elterntarife verstetigt werden, und auch für die Programmvereinbarungen werden unbefristete gesetzliche Grundlagen geschaffen.
Der Gesetzesentwurf der WBK-N ist ein Paradigmenwechsel: Bisher hatten sich Bund und bürgerliche Politiker:innen auf den Standpunkt gestellt, dass die Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung Sache der Kantone sei. Mit dem neuen Gesetz wird diese Zuständigkeit auch auf nationale Ebene gehoben. Und das ist dringend nötig, um den kantonalen Flickenteppich bei den Elterntarifen, der Angebotsdichte und der Betreuungsqualität durch einheitliche Standards zu ersetzen.
In Kantonen mit quantitativ und qualitativ ungenügendem Angebot oder hohen Elterntarifen sind immer noch viel zu viele Familien gezwungen, die Kinderbetreuung privat zu organisieren. Wenn keine Verwandten einspringen können oder wollen, bedeutet dies in der Mehrheit der Fälle, dass die Mutter ihr Erwerbspensum reduziert oder ganz aufgibt, um sich der Familienarbeit zu widmen. Und Frauen gehen damit ein grosses wirtschaftliches Risiko ein: Ihr durchschnittliches Erwerbseinkommen ist sowohl im erwerbsfähigen Alter wie auch nach der Pensionierung ungefähr 40% tiefer als dasjenige der Männer.
Diesen Frühling hat ein Bundesgerichtsurteil den nachehelichen Unterhalt für Mütter nach einer Scheidung in Frage gestellt und damit das Armutsrisiko für Frauen massiv verschärft: Wer während der Ehe Berufskarriere für die Haus- und Familienarbeit aufgegeben hat, darf somit nach einer Scheidung nicht mehr auf nachehelichen Unterhalt hoffen. Mit diesem Urteil geht das Bundesgericht von einem Idealzustand mit einer Fifty-Fifty-Aufteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit und nicht von der Realität aus: Die Abmachung eines Paars, dass er für das Familieneinkommen zuständig ist, während sie unbezahlt die Kinder betreut und den Haushalt erledigt, soll nach einer Scheidung plötzlich nicht mehr gelten. Für die Frau bedeutet dies, dass sie zusätzlich zur immer noch zu erledigenden unbezahlten Familienarbeit von einem Tag auf den anderen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, obwohl ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch den Erwerbsunterbruch gelitten haben dürften.
Dieses Bundesgerichtsurteil müsste nun auch den letzten Ewiggestrigen klarmachen, dass die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung keine Privatsache, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Denn um das Armutsrisiko nach einer Scheidung zu mindern, reicht es nicht, nach der Trennung wieder möglichst rasch eine Stelle zu suchen. Vielmehr müssen Frauen auch während der Ehe finanziell selbständig bleiben. Damit dies möglich ist, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen – und zu diesen gehört zwingend ein qualitativ gutes Angebot an familien- und schulergänzender Kinderbetreuung, die als Service Public allen Familien zahlbar und bedarfsgerecht zur Verfügung steht.
Das neue Gesetz, das die WBK-N vorschlägt, leistet einen wichtigen Beitrag zu diesen Rahmenbedingungen. Doch es genügt nicht: Trotz Bundesbeitrag werden die Elternbeiträge in der Schweiz nach wie vor zu den höchsten in Europa gehören. Und die Kommission verpasst mit ihrem Entwurf auch die Chance, Qualität und vor allem Arbeitsbedingungen und Löhne in der Kinderbetreuung nachhaltig zu verbessern. Denn dadurch, dass die Bundesbeiträge als Subjektfinanzierung direkt an die Eltern gehen und nicht an die Kantone, können sie kaum an Kriterien geknüpft werden, die zu nachhaltigen Verbesserungen führen würden.
Um das Kinderbetreuungsangebot schweizweit nachhaltig zu verbessern, hat der SGB am Weltfrauentag gemeinsam mit SP und weiteren Partner:innen die Kita-Initiative lanciert. Diese schreibt ein Recht auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder in die Verfassung – auch für solche mit erhöhtem Unterstützungsbedarf, zum Beispiel wegen einer Behinderung. Der Bund soll zwei Drittel der Kosten tragen, die Eltern dagegen maximal 10% des Familieneinkommens für die Betreuung ihrer Kinder ausgeben müssen. Und vor allem sieht die Initiative Arbeitsbedingungen und Löhne vor, die dem Wert dieser Arbeit und der Verantwortung des Jobs gerecht werden. Das Gesetz, das die WBK-N vorschlägt, ist der Anfang einer zeitgemässen nationalen Familienpolitik. Mit der Kita-Initiative muss es weitergehen.