«Falsche Frage, falsche Antwort», lautet die Schlussfolgerung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB zum heute vorgestellten Bericht der Expertengruppe Aufgaben- und Subventionsüberprüfung. Das Hauptproblem der Schweizer Finanzpolitik sind nicht Schulden und Defizite, sondern Überschüsse und ein Vermögensaufbau des Staates auf Kosten der Privathaushalte und Sozialversicherungen. Der SGB lehnt insbesondere die vorgeschlagenen Kürzungen bei der sozialen Sicherheit im Bereich der AHV, der Überbrückungsleistungen und der Prämienverbilligungen klar ab. Die Schweiz braucht eine staatliche Finanzpolitik für und nicht gegen die Bevölkerung.
Staatliche Überschüsse auf Kosten der Bevölkerung, falsch umgesetzte Schuldenbremse
Der Schweizer Staat hat kein Schuldenproblem – im Gegenteil. Die öffentliche Hand – insbesondere die Kantone – macht seit Jahren regelmässig hohe Überschüsse. Der Schweizer Staat hat den privaten Haushalten unnötigerweise Milliarden weggenommen um damit staatliche Vermögen anzuhäufen. Mittlerweile haben Bund, Kantone und Gemeinden ein ökonomisch unnötiges Eigenkapital von über 100 Milliarden Franken. Diese Finanzpolitik ist auch ein Problem für die kapitalgedeckten Sozialwerke in der Schweiz. Diese brauchen sichere Anlagen zu einigermassen nachhaltigen Zinsen.
Die Schuldenbremse des Bundes ist falsch umgesetzt. Die Verfassung verlangt einen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben. In Wirklichkeit schafft die Schuldenbremse Überschüsse von 1 bis 1.5 Mrd. Franken pro Jahr. Weil sie auf das Budget angewendet wird, gibt es Jahr für Jahr Budgetposten, die nicht ausgegeben werden. Der Bund nimmt dadurch mehr ein als er ausgibt. Dazu kommt, dass die Einnahmen immer wieder unterschätzt wurden. Die strukturellen Defizite des Bundes sind daher wesentlich geringer als Bundesrätin Keller-Sutter vorgibt.
Zudem verschieben sich immer mehr Aufgaben von Kantonen und Gemeinden zum Bund. Beispielsweise ist die Bevölkerung mobiler – Wohn- und Arbeitsort liegen in anderen Kantonen. Die Digitalisierung (insb. Machine Learning) erfordert Projekte in einer Grössenordnung, die für einzelne Kantone zu gross sind. Diese Verschiebung der Aufgaben muss auch in der Finanzpolitik stattfinden. Es braucht eine entsprechende Verlagerung von den Überschusskantonen hin zum Bund.
Keine Verschlechterung der sozialen Sicherheit auf Kosten der Bevölkerung
Die Expertengruppe greift die soziale Sicherheit in der Schweiz frontal an. Unter dem Deckmantel einer Senkung des Bundesbeitrags will sie bei der AHV «Reformdruck» erzeugen, damit das Rentenalter und die Beiträge erhöht werden. Sie ignoriert dabei, dass der Bund mit seinem Beitrag an die AHV auch Leistungen zahlt, die nicht über Lohnbeiträge finanziert werden. So beispielsweise die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften. Wer Leistungen bestellt, muss auch zahlen. Zudem wurde der Bundesanteil erhöht, damit die AHV nicht alle Verluste aus der Unternehmenssteuerreform II tragen muss und die AktionärInnen auch einen kleinen Anteil zahlen.
Die vorgeschlagene Abschaffung der Überbrückungsleistung ist inakzeptabel – auch weil sich die Lage der älteren Arbeitnehmenden weiter verschlechtert. Die ÜL muss im Gegenteil verbessert werden. Die Anspruchsvoraussetzungen sind viel zu restriktiv.
Einnahmenseitiges Potenzial nur teilweise erkannt
In der reichen Schweiz gibt es ein enormes Potenzial auf der Einnahmenseite. Dies wurde von der Arbeitsgruppe nur ansatzweise aufgeführt. Bei den Steuerlücken gibt es noch weitere Handlungsoptionen. Einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer lehnt der SGB ab. Er führt zu Ungerechtigkeiten.
Die Expertengruppe schlägt weiter vor, dass Flüchtlinge schneller ins Erwerbsleben integriert werden. Dieser Vorschlag ist gut. Aber dafür braucht es eine stärkere öffentliche Arbeitsvermittlung und weitere Massnahmen (unter anderem zum Spracherwerb). Diese sind im Bericht weder aufgeführt noch beziffert. Das Finanzdepartement hat bisher das Gegenteil gemacht. Der Bundesbeitrag an die ALV wird gekürzt. Auch hier verstösst Bundesrätin Keller-Sutter gegen das bürgerliche Prinzip «wer bestellt, muss auch zahlen».
Kaufkraft, Medien und Kultur schützen
Die Abschaffung der indirekten Presseförderung lehnt der SGB ab. Es gibt keine funktionierende Demokratie ohne funktionierende Medienlandschaft, weshalb das einzige, sehr bescheidene Instrument der öffentlichen Medienförderung auf keinen Fall abgeschafft werden darf. Die indirekte Presseförderung muss im Gegenteil ausgebaut werden, wie dies aktuell auch die zuständigen Parlamentskommissionen fordern.
Auch die von der Expertengruppe vorgeschlagenen massiven Kürzungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs (insbesondere die Kürzungen im Bahninfrastrukturfonds und beim regionalen Personenverkehr) werden vom SGB abgelehnt. Sie werden mittelfristig zu einer Verschlechterung des Angebots und kurzfristig direkt zu einer massiven Verteuerung der Billettpreise führen und damit das Budget der Haushalte weiter belasten. Nicht nachvollziehbar sind auch die Kürzungen in der Kultur – einem Sektor, der in der Schweiz vergleichsweise wenig Förderung geniesst.