Mit gewissem Recht bezeichnet der Bundesrat die aktuell laufende Revision der Invalidenversicherung als "Weiterentwicklung der IV", anstatt sie in eine Reihe mit den vergangenen Kürzungsrevisionen zu stellen und als "Revision 7" mit einer weiteren Nummer zu versehen. Die Vorlage beinhaltet wichtige qualitative Elemente mit den Schwerpunkten bei Eingliederung, Beratung und Begleitung sowie Koordination. Dass es aber noch ein weiter Weg ist, bis diese Elemente gestärkt werden und eine neue Sparrunde auf dem Buckel der Versicherten abgewehrt ist, hat die erste Beratungsrunde in der nationalrätlichen Sozialkommission gezeigt.
Verhinderte und drohende Sparmassnahmen
Zwar wurden dort Angriffe wie "Keine IV-Rente unter 30 Jahren!" vorerst abgewehrt, doch bereits wurde auch eine Reihe neuer Sparmassnahmen beschlossen: Taggelder sollen während einer beruflichen Ausbildung nicht mehr für behinderungsbedingte Erwerbsausfälle ausbezahlt, Kinderrenten um 25 Prozent gekürzt werden.
Am einschneidendsten ist aber der Grundsatzentscheid zur Einführung eines "stufenlosen" Rentensystems, den auch bereits der Bundesrat getroffen hat. Dies ist ein System, das neue Fehlanreize setzen würde und ausgerechnet jenen Personen schmerzhafte Renteneinbussen brächte, die am wenigsten Aussicht auf eine Teilzeitbeschäftigung haben (Invaliditätsgrad 60-69%). In Kombination mit der Kinderrentenkürzung würde das neue System für viele Familien zu substanziellen Einkommensausfällen führen (im Extremfall zur Kürzung eines Viertels der Leistungen).
Eine entsprechende Kostenverlagerung in die Ergänzungsleistungen wäre die bereits in der Vergangenheit oft beobachtete unvermeidbare Folge. Der Nationalrat muss daher auf diese beiden Massnahmen verzichten- selbst, wenn er nur die Kosten betrachtet. Definitiv vom Tisch ist zum Glück bereits die vom Arbeitgeberverband erbittert geforderte 80%-Schwelle für den Erhalt einer Vollrente.
Verbindliche Wiedereingliederung
Die IV verbucht seit 2017 Überschüsse und wird ihre verbleibenden Schulden beim AHV-Fonds voraussichtlich bis 2030 zurückzahlen können, trotz anhaltendem Bevölkerungswachstum. Grund dafür ist aber weniger eine erfolgreiche Eingliederungspolitik als vielmehr die erwähnten Revisionen 4 bis 6, mit denen der Zugang zur IV immer stärker eingeschränkt und die Leistungen der Bezugsberechtigten mehrfach gekürzt wurden, wie erwähnt nicht zuletzt auf Kosten der EL. Der Druck für eine erfolgreiche Eingliederungspolitik ist also heute gerade wegen dieser Revisionen hoch, ebenso der Bedarf an Stellen für Personen mit Teilrenten.
Menschen mit Behinderungen können heute immer noch nur mit grosser Mühe, an den Arbeitsplatz zurückzukehren oder im Arbeitsmarkt Fuss fassen. Den in der Vergangenheit von den Arbeitgebern gemachten Versprechen hinkt die Realität leider hinterher. Der SGB unterstützt daher die mit der jetzigen IV-Revision vorgesehenen Zusammenarbeitsvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zur Eingliederung und Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt.
Sie reichen aber nicht aus: Um endlich wirklich spürbare und nachhaltige Fortschritte zu erzielen, braucht es verbindliche gesetzliche Vorgaben. Eine Kommissionsminderheit fordert daher, dass Unternehmen mit über 250 Arbeitnehmenden mindestens 1 Prozent Arbeitnehmende beschäftigen müssen, die von Invalidität betroffen oder bedroht sind. Eine, einer von hundert, das ist nun wirklich das Minimum.