Tür für Zweiklassenmedizin und Kassendiktat weit offen!

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Verfasst durch Christina Werder, SGB-Zentralsekretärin

Grundsätzlich begrüsst der SGB die Förderung der integrierten Versorgung, also von Managed Care. Doch die von der Kommission beantragte Managed Care-Vorlage, die in Sommersession in den Nationalrat kommen wird, ist für den SGB unsozial und unfreiheitlich. Neu droht den Versicherten ein auf 20 % verdoppelter Selbstbehalt. Viele werden sich das nicht leisten können und deshalb einer von den Kassen allein diktierten Arztwahl ausgeliefert sein. Dazu kommen weitere Mängel.

Das sind die hauptsächlichen – und schwerwiegenden - Mängel dieser Vorlage: 

Zweiklassenmedizin: Mit der Erhöhung des Selbstbehaltes auf 20% ohne im Gesetz festgelegte Obergrenze (die aktuelle Obergrenze von 700.— ist nur auf Verordnungsebene festgelegt) werden die Versicherten – falls sie sich den Knebelverträgen der Kassen mit dreijähriger Vertragsdauer nicht aussetzen und die Wahlfreiheit nicht einschränken wollen – massiv zur Kasse gebeten. Die 20% Selbstbehalt können bis zu einer Summe von 1'400 Franken pro Jahr gehen. Für ein Ehepaar würde das heissen, 3'400 Franken selber zu bezahlen (2 x 1’400 Fr. Selbstbehalt plus 2 x 300 Fr. Franchise). Bezahlt werden müssen zudem die Krankenkassenprämien von mehreren tausend Franken im Jahr. Das heisst, der Beitritt zur integrierten Versorgung wird de facto für viele Versicherte nicht freiwillig sein. Finanzielle Gründe werden sie dazu „zwingen“. Das würde nichts anderes als die Einführung der Zweiklassenmedizin bedeuten.

Kassendiktat: Die Versicherer bestimmen, mit welchen integrierten Versorgungsnetzen und zu welchen Bedingungen sie einen Vertrag abschliessen. Sie sind nicht verpflichtet, mit allen Versorgungsnetzen einen Vertrag abzuschliessen. Sie haben nur die Pflicht, ein Angebot der integrierten Versorgung zu machen. Das bedeutet: Die Kassen steuern das Angebot. In der Grundversicherung wird so die Vertragsverpflichtung gelockert 

Eingeschränkte Wahlfreiheit: Die Versicherer werden höchstens dazu verpflichtet, ihren Versicherten ein Angebot der integrierten Versorgung zu machen. Wenn einer versicherten Person dieses Angebot nicht mehr passt, ist sie gezwungen, die Kasse zu wechseln oder tiefer ins Portemonnaie zu greifen und 20% Selbstbehalt zu zahlen. Die Versicherten werden von den Kassen mit Verträgen von einer Laufzeit von bis zu drei Jahren (Knebelverträge)an integrierte Versorgungsnetze gebunden. Die Hürden, vorzeitig aus einem solchen Vertrag auszusteigen, sind hoch. Der Ausstieg kann teuer zu stehen kommen: Gewechselt werden kann die Kasse, nicht aber die Versicherungsform, bei wesentlichen Änderungen der Versicherungsbedingungen oder bei einer Prämienerhöhung, die über der durchschnittlichen Prämienerhöhung im Kanton liegt. Nur gegen Bezahlung der vertraglich vereinbarten Austrittsprämie kann die versicherte Person sowohl die Kasse als auch die Versicherungsform vor Ablauf der Vertragsdauer wechseln. Da das Gesetz bei der Austrittsprämie keine Obergrenze festlegt, haben die Kassen freie Hand, diese in beliebiger Höhe anzusetzen. Versicherte – vor allem in ländlichen Gegenden - haben mit dieser minimalen Angebotspflicht der Kassen allenfalls eine sehr bescheidene Wahlfreiheit und auch keine Garantie, in ihrem näheren Wohnumfeld ein integriertes Versorgungsnetz zu haben. Das geografische Einzugsgebiet ist im Gesetz nicht definiert und kann deshalb auch sehr weitläufig festgelegt werden. 

Ein weiteres Problem bietet sich den chronisch kranken Menschen, die auf eine kontinuierliche ärztliche, pflegerische und therapeutische Versorgung angewiesen sind. Wenn nun das über Jahre eingespielte Behandlungs- und Pflegeteam nicht dem zuständigen Netz angehört, muss der Patient, die Patientin sich ausserhalb des Netzes versorgen lassen und somit den Selbstbehalt von 20% entrichten. 

Verdeckte Rationierung: Integrierte Versorgungsnetze müssen zwingend Budgetmitverantwortung tragen. Dies begünstigt verdeckte Rationierung und bildet Anreize zur Unterversorgung, weil das Netz unabhängig von erbrachten oder verordneten Leistungen nur den vertraglich vereinbarten Betrag erhält. Das führt vermehrt zu ökonomischen Überlegungen, zu einer Belastung des Arzt-Patient-Verhältnisses (wird noch alles Notwendige für mich gemacht?) und zu Konflikten innerhalb des Netzes unter den verschiedenen Leistungserbringern. Insbesondere besteht die Gefahr, dass die pflegerischen und therapeutischen Leistungen wie Physiotherapie oder Ergotherapie zu Gunsten von ärztlichen Leistungen zurück stehen müssen, da die Verordnungshoheit und die Budgetverantwortung beim Arzt, der Ärztin liegen.

Fazit: Die aufgegleiste Managed Care-Vorlage ist kein Bekenntnis zur integrierten Versorgung. Die Vorlage ist vielmehr geeignet, die integrierte Versorgung als Billigmedizin zu diskreditieren. Noch ist nicht alles verloren. Der Nationalrat ist gefordert die Vorlage zu korrigieren, so dass die gleichwertige medizinische Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft gewährleistet ist.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

031 377 01 11

reto.wyss(at)sgb.ch
Reto Wyss
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