Die Sparstrategie des Bundesrats bekommt gerade tiefe Risse. Denn mit der Publikation der ersten Hochrechnung zum Jahresabschluss 2023 hellt sich das schwarzmalerische Bild des Finanzdepartements deutlich auf. So oder so: Die geplanten Kürzungen sind nicht nur finanzpolitisch unnötig, sie sind vor allem auch für die Bevölkerung schädlich.
Geplant sind flächendeckende Kürzungen
Über die vergangenen Monate hinweg hat der Bundesrat eine Reihe von einschneidenden finanzpolitischen Entscheiden gefällt. Mit beabsichtigten Querschnittskürzungen von 2 Prozent im Haushalt 2024, mit der Senkung der Wachstumsraten der «mehrjährigen Finanzbeschlüsse» (öV, Kultur, Bildung, Entwicklungszusammenarbeit u. a.) sowie mit weitergehenden Kürzungen bei stark gebundenen Ausgaben (Arbeitslosenversicherung, AHV, Kinderbetreuung, Bahninfrastruktur) verfolgt der Bundesrat auf breiter Front eine kompromisslose Sparpolitik, die für die Bevölkerung längerfristig gravierende Konsequenzen hätte.
Der SGB hat bereits im Frühjahr festgehalten, dass dieser neue Sparkurs volkswirtschaftlich völlig falsch und angesichts des allgemeinen Zustands der öffentlichen Finanzen komplett unnötig ist. So verfügt die öffentliche Hand heute über ein Reinvermögen von mehr als 400 Milliarden Franken, was mehr als der Hälfte der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Zudem häuft der Bund mit Ausgabenunterschreitungen in der Rechnung seit Jahren Vermögenswerte an, die unproduktiv in der Schuldenbremse «parkiert» werden. Die für die Periode 2005-2021 gemessenen Budgetunterschreitungen betrugen jährlich durchschnittlich 2.6 Milliarden Franken, was fast exakt dem vom Bundesrat beabsichtigten Sparvolumen von jährlich 2.7 Milliarden entspricht. Alleine dieser Vergleich zeigt, dass die Sparmassnahmen nicht nur volkswirtschaftlich schädlich, sondern auch finanzpolitisch völlig obsolet sind.
Erste Hochrechnung stellt einiges in Frage
Nachdem der Bundesrat also bereits im Frühjahr auf der Grundlage düsterer Finanzprognosen sparpolitische faits accomplis geschaffen hat (oder schaffen wollte), kommt nun mit der ersten Hochrechnung 2023 bereits auch die erste Entwarnung in eigener Sache: Denn gemäss den aktualisierten, Mitte August publizierten Zahlen wird für 2023 ein negativer Finanzierungssaldo von nur noch 1.5 Milliarden Franken erwartet – gegenüber 4.8 Milliarden im Voranschlag. Zwar ist ein wesentlicher Teil dieser Differenz auf die Ausbuchung des wohl nicht mehr benötigten Rettungsschirms für die Strombranche zurückzuführen und damit rein buchhalterischer Art. Doch bringt diese Hochrechnung auch handfeste Verbesserungen mit sich: So werden zusätzliche Einnahmen von 900 Millionen aus der direkten Bundessteuer erwartet, während auf der Ausgabenseite alleine die zusätzlichen nicht ausgeschöpften Kreditreste sowie tiefere Kosten für Schutzsuchende aus der Ukraine ein Plus von einer Milliarde gegenüber dem Voranschlag bringen.
Das trübe finanzpolitische Bild, welches der bundesrätlichen Sparpolitik zugrunde lag, hat sich also bereits kräftig eingefärbt. Umso lauter muss nun die Kritik an den ohnehin unsinnigen und für die Bevölkerung gerade während der aktuellen Kaufkraftkrise ohnehin toxischen Ausgabenkürzungen werden. Widerstand muss auf allen Ebenen geleistet werden. Im Folgenden drei besonders drängende Beispiele.
Öffentlicher Verkehr: Tarifpolitik im Widerspruch zu Klima- und Investitionspolitik
Der von der öV-Branche angekündigte Aufschlag der Billettpreise um schweizweit durchschnittlich 3.7 Prozent ab Dezember 2023 darf so nicht umgesetzt werden. Dieser Beschluss ist die direkte Folge des Bundesratsentscheids zu den Kürzungen im Budget für den regionalen Personenverkehr. Das Parlament muss den Bundesrat nun möglichst schnell zur Umkehr bewegen. Eine Erhöhung der Billettpreise – in vielen Fällen wären es weit mehr als 3.7 Prozent – wäre nicht nur eine weitere massive Belastung für die arbeitende Bevölkerung, deren Kaufkraft im Moment ohnehin an allen Ecken und Enden Einbussen erfährt. Teurere Fahrscheine wären auch klimapolitisch das völlig falsche Signal: Wenn die Leute zum vermehrten Umstieg auf den öV bewegt werden sollen (das erklärte Ziel des Bundesrats), dann muss man diesen Umstieg doch fördern, statt ihn zu behindern! Und wenn über Jahre hinweg Milliarden in den Ausbau der Bahninfrastruktur investiert wurden und weiter werden, dann doch mit dem Ziel, diese Infrastruktur auch auszulasten!
Kultur: Gute Pläne, doch weniger Mittel für deren Umsetzung
Nicht weniger widersprüchlich sind die kulturpolitischen Pläne des Bundesrats. Vor der Sommerpause wurde die Kulturbotschaft 2025-2028 in Vernehmlassung gegeben, und sie liest sich gut: Die Bedeutung der Kultur für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die kulturelle Teilhabe und die Förderung der Nachhaltigkeit werden unterstrichen, neue Förderinstrumente und Entwicklungsschwerpunkte vorgeschlagen. Nur: Für all das soll es nicht mehr, sondern viel weniger Geld geben. Neben den Kürzungen um 2 Prozent bereits im nächsten Jahr soll das Budget für die Kulturausgaben in den Folgejahren jeweils nur noch um 1.2 Prozent wachsen (nach 2.9 Prozent in der aktuellen Periode). Angesichts der Teuerung und des Bevölkerungswachstums entspricht dies einer laufenden massiven Kürzung der Ausgaben für Museen, Kunst, Film, Musik, Literatur und Schauspiel. Und dies, obwohl die Einkommenssituation der Arbeitnehmenden in der Kulturbranche fast durchgehend schlecht ist, wie ein gleichzeitig vom Bundesrat verabschiedeter Bericht aufzeigt. Der Bundesrat muss die Kulturbotschaft nach der Vernehmlassung also dringend nachbessern und die Mittel vor dem Hintergrund der verbesserten Haushaltslage auf ein Niveau anheben, das realistischerweise auch die Umsetzung der beabsichtigten Förderziele ermöglicht.
Internationale Zusammenarbeit: Solidaritäten gegeneinander ausspielen
Ebenfalls in Vernehmlassung befindet sich aktuell die Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit für die Jahre 2025-2028. Gemäss den darin vom Bundesrat skizzierten Plänen kämen die Mittel für die ärmsten Länder der Welt gleich dreifach unter Druck: Erstens sollen auch dafür bereits im nächsten Jahr pauschal 2 Prozent weniger ausgegeben werden, zweitens sollen diese Mittel danach vom neu tieferen Niveau ausgehend jedes Jahr weniger stark wachsen und drittens sollen die zusätzlichen Beträge ohnehin gänzlich aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit gestrichen und stattdessen für den Wiederaufbau der Ukraine reserviert werden. Damit versucht der Bundesrat bewusst, Solidaritäten gegeneinander auszuspielen: Selbstverständlich braucht es auch von der Schweiz ein massives finanzielles Engagement für die vom russischen Angriffskrieg gebeutelte Ukraine, doch diese ausserordentlichen Mittel müssen zusätzlich zum laufenden Budget gesprochen werden. Würde man – wie vorgeschlagen – der humanitären Hilfe oder den erfolgreichen Entwicklungsprojekten in den mitunter ärmsten Ländern der Welt plötzlich 1.5 Milliarden Franken entziehen, wären die Konsequenzen für die Menschen vor Ort gravierend. Und für die Schweiz wäre dies – auch im internationalen Vergleich – wortwörtlich ein Armutszeugnis.