Zuerst wollten die FDP-Bundesräte Cassis und Schneider-Ammann den Lohnschutz verschlechtern, damit es ein Rahmenabkommen gibt. Neuerdings verlangt FDP-Präsidentin Gössi dasselbe – nun aber weil kein Rahmenabkommen zustande kommt («Fitness-Programm»). Aus wirtschaftlicher Sicht ist beides Unsinn. Denn gute Löhne und Arbeitsbedingungen sind nicht nur eines der besten wirtschaftlichen Fitnessprogramme, sondern sie verhindern auch, dass die öffentlichen Investitionen in die Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmenden verloren gehen.
Forscher des Internationalen Währungsfonds zeigen das in einer neuen, ausführlichen Analyse der italienischen Arbeitsmarktpolitik. Seit den 1990er-Jahren hat sich in Italien vieles verschlechtert. Es gibt mehr prekäre Jobs – mehr befristete Verträge und Teilzeit-Jobs. Die Einkommen sind ungleicher verteilt – zuungunsten der mittleren und tiefen Einkommen. Und das Produktivitätswachstum kam weitestgehend zum Erliegen.
Eine bedeutende Ursache hinter dieser Entwicklung sind die so genannten Arbeitsmarktreformen seit den 1990er-Jahren. Diese haben Gesamtarbeitsverträge ausgehöhlt und prekäre Formen der Anstellung gefördert. Die Ideologie war, dass zunächst durch schlechtere Arbeitsbedingungen mehr Jobs entstehen würden. Später, wenn die Beschäftigung gestiegen ist, würden dann alle von der höheren Wirtschaftsleistung profitieren. Und die Arbeitnehmenden mit prekären Stellen hätten eine Dauerstelle.
Heute muss man sagen, dass diese Ideologie krachend gescheitert ist. Wer keine Dauerstelle hat, sondern mit einem Temporärvertrag ins Berufsleben einsteigt, hat über die ganze Berufskarriere ein grösseres Risiko, weiterhin befristet angestellt zu sein. Zudem immer wieder mit Lücken zwischen den Verträgen, was die Einkommen nach unten drückt.
Gesamtwirtschaftlich ist das Projekt gescheitert, weil es auch Ausbildung vernichtet oder zumindest nicht effizient nützt. Denn die Firmen haben bei befristeten Anstellungen weniger Interesse, in die Aus- und Weiterbildung und in die berufliche Entwicklung ihrer Angestellten zu investieren. Gut ausgebildete jüngere Stellensuchende können daher auf dem «Abstellgleis» landen und sich nicht gemäss ihrem Ausbildungs-Potenzial entwickeln.
Wesentlich besser ist es, wenn die Firmen über gute Gesamtarbeitsverträge und Gesetze gezwungen werden, das Beste aus ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu machen. Wer einen guten Lohn zahlen muss, wird auch dafür sorgen, dass die Anstellten ihre Arbeit machen können und punkto Aus- und Weiterbildung auf einem möglichst guten Stand sind. Ähnliches gilt auch für Dauerstellen, bei denen Firmen nicht nur eine längerfristige Sicht auf ihr Personal haben. Sondern die Beschäftigten sind im Betrieb auch wesentlich besser integriert.
Rückblickend ist es immer noch bemerkenswert, dass die Löhne in der Schweiz in den letzten 10 bis 15 Jahren trotz Frankenüberbewertung und Rezessionsphasen aufwärts gingen. Die offensive gewerkschaftliche Lohnpolitik und die Flankierenden Massnahmen haben wesentlich dazu beigetragen. Diese Lohnpolitik hat die Firmen gezwungen, das Personal möglichst gut einzusetzen, so dass die Produktivität im Unterschied zu anderen Ländern gestiegen ist. Der von den IWF-Forschern rekonstruierte italienische Weg mit schlechteren Arbeitsbedingungen hingegen hat immer tiefer in die Krise geführt.