Riskantes Vorgehen der Nationalbank: Eine Analyse der Ausgangslage und der Handlungsoptionen. Und eine kritische Bewertung des Entscheides

  • Geld und Währung
Blog Daniel Lampart

Ein Tag nachdem der verhaltene Applaus der Wirtschaftsverbände zum SNB-Entscheid verklungen ist («verständlich, trifft aber bestimmte Firmen negativ»), gibt es nochmals eine Gelegenheit für eine Bewertung des SNB-Entscheides aus einer gewissen Distanz. Überraschend waren gestern vier Dinge:

  • Die Geschwindigkeit, mit welcher die Nationalbank vom bisherigen Kurs der ruhigen Hand und der Beruhigung der Devisenmärkte abkehrt.
  • Die Deutlichkeit der Ankündigung, vor dem EZB-Entscheid die Zinsen zu erhöhen und eine Frankenaufwertung herbeizuführen.
  • Die in der neueren SNB-Geschichte wahrscheinlich erstmalige Ankündigung, Devisenreserven unter Umständen dazu zu verwenden, über Devisenverkäufe den Franken aufzuwerten. Das in einem Land, in welchem sich die Währung nicht nur tendenziell aufwertet, sondern das bei internationalen Krisen immer wieder von starken Aufwertungsschocks getroffen wird ("sicherer Hafen").
  • Der Kommentar von Bundesrat Parmelin zum SNB-Entscheid. Die «Unabhängigkeit» der Nationalbank schliesst eigentlich aus, dass der Bundesrat Stellung nimmt. Solche Kommentare gab es bisher meines Wissens nicht (aber der Bunderat kommuniziert viel, so dass das wohl niemand genau weiss).

Der SGB hat den Entscheid der SNB kritisiert. Er führt nicht nur zu einer Aufwertung des Frankens in einer schwierigen Phase. Sondern er kann auch dazu führen, dass der Frankenkurs in nervösen Phasen auf den Finanzmärkten wieder ausser Kontrolle gerät. Mit entsprechend negativen Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Löhne. Doch zuerst eine kurze Analyse der Ausgangslage:

  • Die Teuerung in der Schweiz ist vor allem die Folge der höheren Energiepreise und der Lieferengpässe. Dabei handelt es sich um Preisnivaueffekte und nicht um Inflation. Diese wurden in der Vergangenheit von der SNB toleriert - so z.B. letztmals vor der Finanzkrise.
  • Die Preise für Dienstleistungen im Inland steigen bisher unauffällig. Der Coiffeur kostet sogar immer noch gleich viel wie vor einem Jahr. Die bisher vorliegenden Prognosen rechnen damit, dass die höhere Teuerung nur vorübergehend ist. Der Bund rechnet für 2023 mit einem Rückgang der Teuerung auf 1.4 Prozent. Die BAK Basel prognostiziert 0.9 Prozent, die Credit Suisse 1 Prozent.
  • Die für die Konjunktur im Inland ausschlaggebenden Langfristzinsen steigen schnell und so stark wie nur selten in den letzten 30 Jahren - ohne Zutung der SNB. Die Hypothekarzinsen liegen bei über 2.7 Prozent. Das ist wesentlich höher als das Wachstum der Löhne, was einen bremsenden Effekt auf die Binnenkonjunktur hat.
  • Die Lage auf den Finanzmärkten ist nervös. Die Aktienkurse sind seit Anfang Jahr um fast 20 Prozent gesunken. Krieg und Corona verstärken diese Nervosität. Der Franken wertete sich in der Vergangenheit oft auf, wenn die Nervosität stieg. Der SNB gelang es in den Monaten bis zum Entscheid von gestern, den Frankenkurs zu beruhigen, so dass die Nervosität weniger auf den Franken durchschlug. Sie gab den Marktteilnehmern den klaren Hinweis, dass sie keine Aufwertung des realen Aussenwertes will.
  • Die Konjunkturlage ist gut. Auch der Schweizer Tourismus mit Gästen aus Asien und Amerika kommt langsam wieder auf die Beine. Zahlreiche Exportunternehmer machen sich aber Sorgen. Mit Krieg und Corona gibt es weiterhin Unsicherheitsfaktoren.
  • Ein Vorteil der Schweiz ist der hohe Anteil an administrierten Preisen (Strom, Gas usw.). Sie machen ungefähr 25 Prozent des Warenkorbs aus. Im Gegensatz zu den EU-Staaten wie Deutschland oder Frankreich, in denen der Anteil aufgrund von Liberalisierungen nur rund 15 Prozent ausmacht. Höhere Marktpreise schlagen dort voll auf die Teuerung durch. In der Schweiz hingegen bremsen die administrierten Preise gegenwärtig die Teuerung.
  • Die Schweiz importiert rund zwei Drittel ihrer Güter aus dem Euroraum. Der Franken-/Eurokurs spielt bei der Importteuerung deshalb eine Schlüsselrolle. Das war der Grund, warum sich die SNB jeweils stark an der EZB bzw. der Bundesbank orientiert hat. Allerdings braucht es starke Aufwertungen, damit die Konsumteuerung sinkt. Eine Faustregel ist, dass eine 10-prozentige Aufwertung zu einer um 1 Prozentpunkt tieferen Teuerung führt.
  • Der Franken ist nach wie vor überbewertet. Seit 2010 hat er sich nominal um über 60 Prozent aufgewertet. In Deutschland beispielsweise stiegen die Löhne zwar etwas stärker als in der Schweiz – nämlich rund 30 Prozent gegenüber 10 Prozent hierzulande. Allenfalls war das Produktivitätswachstum der Schweiz noch minimal höher. Aber das reicht nicht, um den enormen Aufwertungseffekt zu kompensieren.

Vor diesem Hintergrund hätte die SNB ihre Ziele höchstwahrscheinlich mit einer Politik der ruhigen Hand erreichen können. Doch sie wollte eine Aufwertung und teilte das den Markteilnehmenden unmissverständlich mit. Die SNB "erwägt" sogar - wie ein Schwachwährungsland - Devisen zu verkaufen, wenn sich der Franken abwertet. Umgekehrt wird nur noch interveniert, wenn sich der Franken "übermässig aufwertet".  Bis jetzt legte der Franken um rund 3 Prozent zu. Angesichts des momentan eher ruhigen Umfelds in der Weltwirtschaft und auf den Finanzmärkten ist das nicht überraschend. Das kann sich aber schnell ändern. Weil sich der Kriegsverlauf ändert, weil in der Eurozone Unsicherheiten aufflackern oder wenn andere Unsicherheiten auftauchen. Dann droht die Gefahr, dass der Franken wieder die Rolle des «sicheren Hafens» übernimmt. Mit entsprechend starken Aufwertungen. Und weil die Nationalbank den Marktteilnehmern die bisherigen Orientierungspunkte weggenommen hat, kann die Aufwertung stark ausfallen. Das war bereits 2010 der Fall, als die Nationalbank die wichtigen Referenzbewertungen zum Euro von 1.45 und 1.40 aufgab und eine Extremaufwertung bis fast zur Parität mit entsprechend negativen Auswirkungen auf Beschäftigung und Konjunktur auslöste. Die Risiken dieser Politik sind daher erheblich und unnötig.

Die weniger riskante Vorgehensweise wäre ein auf die europäische Geldpolitik abgestimmtes Vorgehen gewesen. Wie die SNB das traditionellerweise erfolgreich gemacht hat. Das heisst Zinserhöhungen, welche die Entscheide der EZB berücksichtigen und dabei je nach Wechselkursentwicklung den eigenständigen Spielraum nutzt.

 

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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