Die Gewerkschaften haben seit Beginn der Verhandlungen zum Rahmenabkommen klar die Position vertreten, dass der Lohnschutz gewährleistet sein muss («rote Linie»). Dieser Grundsatz sollte eigentlich selbstverständlich sein. Doch im Laufe der Verhandlungen wurde immer offensichtlicher, dass EU-Vertreter, aber auch Arbeitgeberkreise und FDP-Bundesräte in der Schweiz den Lohnschutz substanziell schwächen wollen. Vor diesem Hintergrund gab es keinen anderenAusweg, als die Verhandlungen zum Rahmenabkommen abzubrechen. Der Preis eines Verhandlungsabschlusses wäre für die Arbeitnehmendenin der Schweiz zu hoch gewesen. Das Abkommen hätte den Lohnschutz und den Service public gefährdet. Das wäre für die Gewerkschaften nicht akzeptabel gewesen.
Der Schutz der Arbeitnehmenden muss verbessert und nicht verschlechtert werden – in derSchweiz und in der EU. Diese Position teilen die europäischen Schwestergewerkschaften des SGB sowie der europäische Dachverband EGB. Der SGB wird sich zusammen mit den Gewerkschaften in Europa weiterhin dafür einsetzen, dass es in dieser Frage vorwärts geht. Es braucht mehr Gesamtarbeitsverträge mit einem wirksamen Lohnschutz und staatliche Mindestlöhne für Branchenund Berufe ohne GAV. Kein Land in Europa hat so hohe Hürden für die Allgemeinverbindlicherklärung von GAV wie die Schweiz («Arbeitgeberquorum»).
Beunruhigend sind neuere Entwicklungen wie der grenzüberschreitende Onlinehandel über Tiefstlohn-Firmen wie Amazon und Zalando sowie die damit verbundene Logistik mit Subunternehmerstrukturen. Um solche Prekarisierungstendenzen zu verhindern, braucht es eine stärkere grenzüberschreitende Gewerkschaftsarbeit.
In den letzten Wochen haben Schweizer Arbeitgeberkreise mit dem Vorwand des Verhandlungsabbruchs beim Rahmenabkommen Verschlechterungen beim Arbeitnehmerschutz gefordert («Fitnessprogramm»). Der SGB wird solchen Versuchen entschieden entgegentreten.
Die Einführung derPersonenfreizügigkeit – verbunden mit den Flankierenden Massnahmen – war ein sozialer Fortschritt, indem die Berufstätigen mit EU-Pass mehr Rechte erhalten haben.Doch es braucht weitere Verbesserungen,insbesondere im Falle von Arbeitslosigkeit, bei derAufenthaltssicherheit,der sozialen Absicherung und dem Recht auf Familienzusammenführung von EU-Bürgerinnen und-Bürgern.
Die Bilateralen Verträge sind für die Arbeitnehmenden wichtig. Eine Eskalation durch die Schweiz oder die EU-Kommission ist unerwünscht. Auch wenn es in Bezug auf das Rahmenabkommen unterschiedliche Sichtweisen gibt, müssen die bestehenden Verträge eingehalten werden. Die Schweiz soll daher die Kohäsionsmilliarde baldmöglichst freigeben. Diese trägt dazu bei, dass das Wohlstandsgefälle in Europa sinkt und die demokratischen Strukturen gestärkt werden. Umgekehrt hat sich die EU durch die Bilateralen Verträge zur gegenseitigen Produkteanerkennung, zur Forschungszusammenarbeit usw. verpflichtet.