Rund 220 delegierte Gewerkschafterinnen und Gäste haben am 14. SGB-Frauenkongress auf dem Berner Gurten unter dem Motto «Für eine feministische Gewerkschaftsarbeit» Wege hin zu mehr Gleichstellung und weniger Diskriminierung in Gesellschaft und Erwerbsleben diskutiert. Während zwei Tagen haben sie die Prioritäten und Ziele in den Gleichstellungsthemen für die nächsten vier Jahre definiert und eine Charta für feministische Gewerkschaftsarbeit zu Handen des SGB-Kongresses verabschiedet. Dadurch wollen sie den neuen Schwung der Frauenbewegung weiter in die die Gewerkschaften und ihre Mobilisierungen einbringen. Für die Delegierten ist klar, dass in der Arbeitswelt entscheidende und strukturelle Gleichstellungsprobleme angegangen werden müssen: bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, höhere Renten, Aufwertung der Berufe mit hohem Frauenanteil und eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit. Mit einem echten Schutz vor Diskriminierung und vor jeder Form sexistischer Gewalt, einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und einer Kinderbetreuung als Service public muss der Wandel hin zu einer wirklichen Gleichstellung endlich in Schwung gebracht werden.
Die SGB-Frauen blicken auf eine bewegte Kongressperiode zurück: die Idee des Frauen*streiks 2019 ging ja aus dem 13. Frauenkongress hervor, und setzte eine Dynamik in Gang, die seither nicht nachgegeben hat. Die feministische Bewegung hat ein historisches Ausmass erreicht und gezeigt, dass Frauen und LGBTIQ+-Personen eine Kraft sind, mit der jetzt gerechnet werden muss. Nach dem Frauen*streik hat die Corona-Pandemie ein Schlaglicht darauf geworfen, dass die Arbeit von Frauen zwar unentbehrlich, aber eben auch unterbewertet und unterbezahlt ist. Diese Erfahrungen sollen in der nächsten Kongressperiode in die Gewerkschaftsarbeit einfliessen und einen feministischen Schub im Kampf um Gleichstellung und Inklusion geben. Dafür wollen die Gewerkschaftsfrauen weiterhin die Zusammenarbeit mit feministischen Aktivist:innen pflegen und mit diesen neue Formen der Mobilisierung und des gewerkschaftlichen Aktivismus entwickeln. Nächstes Jahr wird der Kampf gegen die AHV 21 und für bessere Renten im Mittelpunkt stehen. Die Delegierten machten ausserdem ihre feste Entschlossenheit deutlich, einen neuen grossen feministischen Streik für das Jahr 2023 vorzubereiten.
Gleichstellung, die den Namen verdient
Neben der Verbesserung der Frauenrenten, für die die Teilnehmerinnen ein deutliches Zeichen setzten, ist eine zentrale Forderung des 14. SGB-Frauenkongresses die bessere Organisation der bezahlten und unbezahlten Betreuungs- und Pflegearbeit (Care-Arbeit). Auch wollen sich die Gewerkschaftsfrauen weiterhin für eine massgebliche Reduktion der Erwerbsarbeitszeit ohne Lohneinbussen einsetzen, damit Frauen und Männer bezahlte und unbezahlte Arbeit gleichmässig aufteilen und die Frauen bei den Löhnen aufholen können. Zudem soll es auch einen Elternurlaub geben, der diesen Namen verdient.
Per Resolution forderten die Delegierten ausserdem die Ratifizierung der ILO-Konvention 190, damit die Schweiz endlich entschieden gegen jegliche Form von sexualisierter Gewalt und Belästigung, insbesondere am Arbeitsplatz, vorgeht. Der Kongress drückte auch seine Solidarität mit Migrantinnen und Migranten ohne Papiere aus und forderte einen besseren Schutz der Vertrauensleute in den Unternehmen, wo die Schweiz beschämend zurückliegt.
Hochkarätige Gäste
Der 14. SGB-Frauenkongress mit seinem dichten und anregenden Programm konnte auf hochkarätige Referentinnen zählen: Nach einer Reise durch die Geschichte der SGB-Frauen mit der Historikerin Dore Heim tauschten sich Unia-Präsidentin Vania Alleva und VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber mit Nora Back, Präsidentin des Luxemburger Gewerkschaftsbundes OGB-L, über die Kraft weiblicher Mobilisierungen aus. Am Samstag berichteten die Soziologin Pauline Delage, die französische Gewerkschafterin Tiziri Kandi sowie Vertreterinnen des Gesundheitspersonals, das 2020 und 2021 hierzulande erfolgreiche Mobilisierungen durchgeführt hatte, von der Unterbewertung der (über)lebenswichtigen Arbeit von Frauen und von weiblichen Arbeitskämpfen. Die Themen Streik und Mobilisierungen, systemrelevante Frauenarbeit, Machtverteilung und internationale Solidarität sowie Digitalisierung und Uberisierung wurden in vier Workshops am Freitagnachmittag vertieft.
Als Höhepunkt des 14. Frauenkongresses verabschiedeten die delegierten SGB-Frauen eine Charta. Sie fasst die organisatorischen und politischen Leitplanken für eine feministische Gewerkschaftsbewegung zusammen. Die Charta wurde dem SGB-Präsidenten Pierre-Yves Maillard überreicht.