Arztgespräch

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Weg mit den schwarzen Listen, Schluss mit den Kopfprämien!

  • Gesundheit
Artikel
Verfasst durch Reto Wyss

In der Sommersession werden wegweisende Entscheide zur Finanzierung und zum Zugang im Gesundheitswesen gefällt.

Verfassungswidrige Einschränkung der Leistungen

Gemäss Bundesverfassung muss in der Schweiz jede Person «die für ihre Gesundheit notwendige Pflege» erhalten. Seit der Einführung der sogenannten «schwarzen Listen» im Jahr 2010 wird dieser Grundsatz aber in gravierender Weise verletzt. Mit diesen Listen können die Kantone «säumige PrämienzahlerInnen» erfassen und deren Zugang zu Gesundheitsleistungen auf nicht weiter definierte Notfallbehandlungen einschränken. Was dies im Extremfall bedeuten kann, ist schon mehrfach publik geworden: So wurde 2018 im Kanton Graubünden einem HIV-positiven Patienten von der Krankenkasse die Finanzierung seiner Medikamente verweigert, weil er mit den Prämienzahlungen im Verzug war. Der Mann verstarb daraufhin an Begleiterkrankungen von AIDS. Sein Todesurteil war nicht das HI-Virus, sondern die schwarze Liste des Kantons, auf der sein Name stand.

Bei der Einführung dieser Listen gingen deren VerfechterInnen von der abwegigen Idee aus, die betroffenen Versicherten seien zahlungsunwillig und könnten mit dieser Massnahme zur Begleichung ihrer Rechnungen gebracht werden. Doch das Problem ist nicht die Zahlungsunwilligkeit, sondern vielmehr die immer weiter verbreitete Zahlungsunfähigkeit der Versicherten: Schweizweit wurden im Jahr 2019 421'000 Versicherte aufgrund von Zahlungsausständen für Prämien betrieben. Schuld daran ist direkt die unsoziale Finanzierung des Schweizer Gesundheitswesens, die in der Grundversicherung zu 80% über Kopfprämien und darüber hinaus mit weiteren 22 Milliarden Franken über direkte Kostenbeteiligungen der Bevölkerung läuft. Dieses System schafft beste Voraussetzungen dafür, dass Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen in die Zahlungsunfähigkeit getrieben werden. Dabei werden sie zusätzlich von den Krankenkassen schikaniert, die mit dem Inkasso teilweise ein regelrechtes Geschäft betreiben – etwa, indem sie jede verschickte Prämienrechnung einzeln in Betreibung setzen und darauf jeweils teure Gebühren erheben.

Die Gesundheitskommission des Ständerats will nun zwar einige dieser Praktiken unterbinden, sie hat aber beim wichtigsten Punkt eine Kehrtwende gemacht: Im Gesetzesentwurf, den sie in Vernehmlassung gegeben hat, wollte sie auch die schwarzen Listen abschaffen, doch vor einigen Wochen hat sie sich plötzlich wieder dagegen entschieden. Dieser völlig unverständliche Entscheid muss im Ständerat unbedingt korrigiert werden!

Soziale Finanzierung einzige nachhaltige Lösung

Langfristig noch wichtiger ist aber, dass die bürgerlichen Parteien endlich die gravierenden, und für die öffentliche Gesundheit schädlichen Auswirkungen der unsozialen Finanzierung der Schweizer Gesundheitsversorgung anerkennen und entsprechend mithelfen, die Probleme an der Wurzel anzugehen. Die unmittelbar wirksamste Massnahme dazu wäre eine Begrenzung der Prämienlast auf höchstens 10% des Einkommens eines Haushalts. Genau dies fordert die vom SGB mitgetragene Prämienentlastungsinitiative, welche demnächst in die parlamentarische Beratung kommen wird. Bevor dies der Fall ist hat, das Parlament aber bereits in der kommenden Session die Möglichkeit, wichtige Pflöcke einzuschlagen. So kann es beim Abbau der überschüssigen Krankenkassenreserven endlich vorwärtsgehen, indem die dazu in Behandlung kommenden Standesinitiativen der Kantone Tessin, Genf, Jura, Freiburg und Neuenburg angenommen werden. Nichts lässt nach einer Pandemie mehr rechtfertigen, dass die Krankenkassen heute auf einem Berg von über 12 Milliarden Reserven sitzen, der stetig weiter und weiter wächst. Dieses Geld gehört den Versicherten und muss baldmöglichst mindestens zur Hälfte an sie zurückbezahlt werden.

Nein zur Notfallgebühr

Darüber hinaus muss der Ständerat in der Sommersession unbedingt an seiner Position festhalten, die – im Rahmen einer parlamentarischen Initiative vom Nationalrat geforderte – Einführung einer «Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme» abzulehnen. Den Leuten trotz bereits horrend hoher Kostenbeteiligung noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen – ganz in der Annahme, dass diese aus «Spass» bzw. mangelndem Kostenbewusstsein in unnötigen Fällen den teuren Spitalnotfall aufsuchen – ist absolut nicht zulässig. Überall mangelt es an HausärztInnen und diese sind, zu recht, oft nicht mehr «in alter Manier» 24 Stunden verfügbar. Dass da hin und wieder ein Bagatellfall in der Notaufnahme landet, ist die logische Konsequenz – und zudem wesentlich billiger, als mit dieser neuen Gebühr Notfallaufnahmen von wirklich schweren Fällen zu verhindern. Denn genau das wäre die Konsequenz: Bereits heute verzichtet jedeR fünfteR VersicherteR aus finanziellen Gründen auf nötige Gesundheitsleistungen.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

031 377 01 11

reto.wyss(at)sgb.ch
Reto Wyss
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