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Prämienrunde 2020: Nicht nur gute Nachrichten

  • Gesundheit
Artikel
Verfasst durch Reto Wyss

Es gibt zu viele Ungleichheiten im System, wie die Analyse des SGB zeigt.

Die Prämienerhöhung fällt für das kommende Jahr wie erwartet sehr moderat aus. Das ist zunächst vor allem für die Versicherten eine gute Nachricht. Die zumeist massiven Prämiensteigerungen der vergangenen Jahre standen im starken Kontrast zu einer Reihe wirksamer Kostendämpfungsmassnahmen. Nun haben die Krankenkassen endlich reagiert und damit begonnen, ihre so angehäuften riesigen Reserveüberschüsse abzubauen und an die Versicherten rückzuverteilen. Die Prämienrunde 2020 – so ist man sich weitgehend einig – ist allerdings vielmehr eine kurzfristige Verschnaufpause denn eine anhaltende Trendwende, wie die bereits wieder nach oben korrigierte Kostenprognose für die kommenden Jahre deutlich macht.

Standardprämie vs. mittlere Prämie

Dennoch führt auch eine genauere Betrachtung der Prämienankündigung bereits Unerfreulicheres zutage. So basiert die vom BAG publizierte Zahl der durchschnittlichen Prämiensteigerung von 0.3% (Erwachsene) zum zweiten Mal auf der sogenannten «mittleren Prämie». Da sich diese aus dem Durchschnitt aller gewählten Versicherungsmodelle und Wahlfranchisen ergibt, verschleiert sie die Nachteile, die solche Modelle für die Versicherten bringen. Insbesondere ist das deren höhere Kostenbeteiligung, welche die gegebene moderate Prämiensteigerung im Krankheitsfall sofort mehrfach aufzufressen droht. Betrachtet man aber – wie bis 2017 üblich – die Standardprämie (Grundmodell bei 300 Franken Franchise), so fällt die Prämiensteigerung für 2020 mit 0.8% bereits deutlich höher aus. Immerhin sind heute noch fast 20% der EinwohnerInnen in einem Standardmodell versichert, darunter hauptsächlich jene Personengruppen, für die ein Wahlmodell bzw. eine hohe Franchise aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht infrage kommt.

Solidargemeinschaft bereits angekratzt

Obwohl die Prämien nun gerade für diese Versicherten stärker steigen, hat die «Expertenlobby» nach der Bekanntgabe wieder einmal kräftig die Werbetrommel für höhere Prämienrabatte bei Wahlfranchisen gerührt. Dabei bemühen sie das immer gleiche Argument, die «Jungen und Gesunden» müssten heute viel zu viel für die «Alten und Kranken» bezahlen. Dazu drei wesentliche Anmerkungen:

  1. Dies ist in der Gesamtbetrachtung völlig falsch: So muss heute eine 95-Jährige nicht nur Prämien stemmen, die im Durchschnitt 43 Prozent höher sind, sondern bezahlt darüber hinaus noch 195 Prozent mehr Franchise und Selbstbehalt als ein 25-Jähriger (ganz zu schweigen von weiteren Kosten für Pflegeheim/Spitex, Spitaltaxen, Medikamente etc.).
  2. Es ist ganz einfach der grundlegende Charakter einer Versicherung, dass Gesunde (bzw. «potenziell Kranke») die Behandlung der Kranken mitfinanzieren. Es wird sich also – welch Überraschung – in jeder Versicherung immer eine Personengruppe finden, die mehr bezahlt bzw. weniger Leistungen bezieht als andere. Und dass dies in ausgeprägter Weise auf die KVG-Grundversicherung zutrifft, ist Ausdruck einer politisch gewollten diskriminierungsfreien gesundheitlichen Grundversorgung für alle.
  3. Abschliessend sei bemerkt, dass die heute gewährten Prämienrabatte für Wahlfranchisen laut BAG-Berechnungen versicherungstechnisch sowieso bereits zu hoch angesetzt sind – oder in anderen Worten: Sie erlauben es den gesunden Versicherten schon heute, sich finanziell teilweise aus der Solidargemeinschaft in der Grundversicherung («einheitlicher Risikopool») auszuklinken.

Kantonale Unterschiede frappant

Neben den Unterschieden zwischen den Versichertengruppen, bringt die Prämienrunde 2020 auch grosse Differenzen zwischen den Kantonen mit sich. So sinken die Prämien im Kanton Luzern um 1.5 Prozent, steigen aber im Kanton Neuenburg um ganze 2.9 Prozent. Diese grosse Diskrepanz ist Ausdruck der verfehlten Organisation der Grundversicherung, welche über mehr als 50 private Krankenkassen in insgesamt 42 Prämienregionen abgewickelt wird. Diese Fragmentierung bringt finanziell regelmässig Verwerfungen mit sich, denen die Versicherten letztlich willkürlich und alternativlos ausgeliefert sind (von mühsamen und langfristig wirkungslosen Kassenwechseln abgesehen).

Im Kanton Neuenburg, beispielsweise, ist der Hauptgrund für die massive Prämienerhöhung die Tatsache, dass fast die Hälfte der Bevölkerung bei der Billigkasse Assura versichert ist. Diese hat die Reserven in den letzten Jahren – im Gegensatz zu fast allen anderen Kassen – zu knapp bemessen und zieht jetzt über Prämienerhöhungen nach.

Das Beispiel Neuenburg zeigt damit überdeutlich: Bevor sich einzelne Kantone in Geiselhaft von wenigen oder gar nur einem Versicherer begeben, müssen sie auf Wunsch ihrer Bevölkerung die Möglichkeit haben, selbst eine kantonale Krankenkasse aufzubauen, genau wie dies unlängst auch der Waadtländer Staatsrat forderte (eine Standesinitiative ist zu erwarten). Damit wären nicht nur die lästigen Reserveschwankungen Vergangenheit, es könnte endlich auch wirksam in Prävention investiert und bei den Verwaltungskosten gespart werden.
    
 

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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Reto Wyss
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